Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
schwere Kränkung eines großen Schriftstellers, der sich um Rom verdient gemacht hat, vielleicht nicht etwas voreilig war. Nachdem ich sein Buch gelesen habe, bin ich überzeugt, sie war es. Ich rate Ihnen sehr, mein Herr und Gott Domitian, dieses Buch zu lesen. Alle weiteren Schritte überlasse ich dann Ihrer guten Einsicht.«
»Sprich dich ruhig weiter aus, meine Lucia!« sagte der Kaiser, und jetzt war sein Lächeln ein Feixen geworden, aber er sprach leise und besonders höflich. »Was willst du denn, daß ich tun soll?« Lucia spürte, daß sie heute wenig Macht über ihn hatte. Wieder, einen ganz kleinen Augenblick, dachte sie daran, ihr Vorhaben aufzugeben. Dann aber versuchte sie es trotzdem nochmals, auf andere Weise, auf ihre frühere Weise. Sie trat ganz nah an ihn heran und strich ihm durch das immer spärlicher werdende Haar. »Siebenundzwanzig Haare wirst du immerhin verloren haben«, meinte sie, »seitdem ich sie das letztemal zählte. Es gäbe ein sehr einfaches Mittel«, fuhr sie ohne Übergang fort, »sowohl das Unrecht wiedergutzumachen, das du an diesem Schriftsteller und vielleicht sogar an seinem Gott begangen hast, und gleichzeitig aus berufenem Munde Belehrung über diesen Gott Jahve zu empfangen. Du brauchtest zum Beispiel nur einer Rezitation beizuwohnen, die dieser unser Josephus mit deiner Erlaubnis zu veranstalten beabsichtigt.« »Interessant«, antwortete Domitian, »sehr interessant. Mein Josephus, unser Josephus, dein Josephus will also aus seinem neuen Buch lesen. Und es gefällt dir sehr, dieses neue Buch? Du findest es wirklich sehr gut?« – »Wäre nicht dein Schweigen«, antwortete sie überzeugt, »dann erklärte alle Welt, es sei von einem zweiten Livius. Schon als sein erstes Buch erschienen war, unter Vespasian und Titus, haben sie ihn so genannt. Erst jetzt, nachdem du seine Büste hast einschmelzen lassen, ist man vorsichtiger geworden.«
Der Kaiser schnitt eine kleine Grimasse. »Richtig«, sagte er, »mein Vater hat sich gern mit ihm unterhalten, und Titus hat ihn geschätzt und geliebt. Vielleicht hast du dein Teil dazu beigetragen, daß Titus ihn schätzte und liebte. Und jetzt willst du also mich dazu bekehren, daß ich dem neuen Buch deines Günstlings Ehre erweise. Laß mich dir sagen, wenn du es nicht schon wissen solltest, daß ich Teile dieses Buches bereits kenne. Sie sind weder langweilig noch interessant. Auch von den übrigen Teilen sagen mir Leute, die deinem Josephus bestimmt nicht feindselig sind, sie seien ein bißchen langatmig und weder kalt noch warm.« – »Es wäre gut«, beharrte Lucia, »wenn Sie selber hörten und sich ein Urteil bildeten. Ich bin ehrlich überzeugt, es könnte Ihnen nicht schaden, wenn Sie sich über Jahve besser informierten.«
Ein ganz kleines Unbehagen überkam den Domitian bei dieser Warnung. Er betrachtete Lucias offenes, kühnes Gesicht, das sich nicht mühte, Ärger und Teilnahme zu verstecken. »Sie haben wirklich großes Interesse an Ihrem Günstling, meine Lucia«, sagte er. »Er könnte eine eifrigere Werberin nicht finden.« Es sprach aus seinen hämischen Worten Mißtrauen, Eifersucht. Lucia hörte das heraus. Wäuchlein glaubte also, sie schlafe mit Josephus. Sie stellte sich das vor. Sie lächelte. Dann schaute sie den Domitian an, und sie lachte einfach heraus.
Ihn aber befreite dieses Lachen. Bei all seinem Mißtrauen hatte er an ein Liebesverhältnis zwischen Lucia und diesem Juden nie gedacht. Sie war sehr römisch, wenngleich auf etwas abwegige Art, und dieser Gott Jahve und seine Leute mußten ihr bei alledem fremd und etwas lächerlich erscheinen. »Wollen Sie hierbleiben und mit mir essen, meine Lucia?« fragte er.
»Und wir überlegen dann weiter, was wir mit Ihrem Josef anfangen.«
Rezitationen waren beliebt in der Stadt Rom. Man war überzeugt, daß das gesprochene Wort tiefer eindringe und länger hafte als das geschriebene und daß es mehr vom Wesen des Autors gebe. In den letzten Jahren indes hatten die Rezitationen überhandgenommen, man war ihrer ein wenig überdrüssig, und gemeinhin hatten es die Autoren, die Rezitationen veranstalteten, nicht mehr leicht, ihre Säle vollzubekommen; man suchte alle möglichen Vorwände, um sich vor dem Besuch solcher Veranstaltungen zu drücken. Josefs Rezitation aber war ein Ereignis, zu dem die ganze Stadt drängte. Der Amtliche Anzeiger hatte gemeldet, daß der Kaiser der Veranstaltung beiwohnen werde. Von weither kam man, um Josef zu
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