Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
einem wollenen Faden. Niemals, auch in seinem Hause nicht, durfte er dieses Hoheitszeichen ablegen. Nichts Gebundenes oder Geknotetes durfte sich an seinem Leib befinden, sein Kleid mußte durch Spangen gehalten, selbst sein Siegelring mußte durchbrochen sein. Einen kleinen Stab hatte er ständig mit sich zu führen, um die Leute fernzuhalten; denn er war erhaben über jede menschliche Berührung.
Ihn also zu beschauen und die andern vom Kollegium der Fünfzehn, drängte sich das Volk. Erregung war und Geraun. Alle wußten, worum es ging, um das Schicksal der Cornelia, der Vestalin, des Lieblings von Rom.
Das Unheimliche an den Versammlungen des Kollegiums der Fünfzehn war, daß sie in allen Fällen von Verbrechen gegen die Religion ihr Schuldig oder Unschuldig nach Willkür aussprechen konnten. Weder brauchten sie den Beklagten zu vernehmen noch Zeugen, sie waren nur den Göttern verantwortlich. Hilflos in ihre Hand gegeben war der Beklagte. Freilich hatten sie nur zu finden, ob jemand schuldig sei oder nicht; die Strafe auszusprechen oblag dem Senat. Doch da dieser ein Schuldig des Priestergerichts nicht umstoßen konnte und da die Gesetze die Strafen unzweideutig vorschrieben, hatte er nur die undankbare Aufgabe, das vom Priestergericht gefällte Urteil vollstrecken zu lassen.
Voll Schreck und dennoch ein wenig gekitzelt, flüsterte man sich am Abend die Entscheidung des Kollegiums der Fünfzehn zu. Die Vestalin Cornelia war für schuldig der Unkeuschheit erkannt worden.
Für dieses Verbrechen, für Unkeuschheit einer Vestalin, hatte die barbarische Sitte der Altvordern eine barbarische Strafe festgesetzt. Die Schuldige sollte auf einem Weidengeflecht vor das Hügeltor geschleift werden und dort gegeißelt, dann sollte sie lebendig in einem Kerker eingemauert werden und mit etwas Nahrung und einer Lampe einem langsamen Tode überlassen bleiben.
Vor Domitian war hundertdreißig Jahre lang keine Vestalin auf Unkeuschheit verklagt worden. Domitian als erster hatte wieder ein derartiges Verfahren angestrengt, gegen die Schwestern Oculatae; allein auch er hatte das Urteil nicht vollziehen lassen, er hatte es dahin gemildert, daß er den Schwestern die Art des Sterbens freistellte.
Was wird er jetzt tun? Was wird der liebenswerten und verehrten Cornelia geschehen? Wird er es wagen?
An diesem Abend waren, nachdem sich die Herren des Priestergerichts entfernt hatten, in dem weitläufigen Schlosse von Alba nur mehr der Kaiser und der Hofmarschall Crispin. Crispin hockte in seinem Arbeitszimmer, müßig, verzehrt
von einer rasenden Spannung. DDD hatte ihn diesen ganzen Tag nicht vor sein Antlitz gelassen, nun wartete er ängstlich darauf, wann er ihn wohl berufen werde. Der sonst so elegante Herr sah ramponiert aus. Wo war sein vornehmer, überlegener Gleichmut, wo jene Blasiertheit, die das feine, dünne, lange Gesicht so hochfahrend hatte erscheinen lassen? Jetzt war dieses Gesicht nervös und zerrüttet, und darauf geschrieben stand nichts als Angst.
Immer von neuem überdachte er das Geschehene, verstand es nicht, verstand sich selber nicht. Welcher böse Geist hatte ihm die unsinnige Idee eingegeben, verkleidet den Mysterien der Guten Göttin beizuwohnen. Jedes kleine Kind hätte ihm sagen können, daß ihm DDD bei aller Freundschaft das nicht durchgehen lassen werde. Jedes andere Laster würde er ihm nachsehen, einen Religionsfrevel nicht. Dabei hatte er gar nicht daran gedacht, die Götter zu beleidigen, er hatte sich zum Fest der Guten Göttin nur deshalb eingeschlichen, weil es einfach kein andres Mittel gab, Cornelia näherzukommen. So hatte es auch seinerzeit Clodius gemacht, der berühmte Elegant aus der 2eit des Julius Cäsar, um sich Cäsars schwer zugänglicher Frau zu nähern. Dem Clodius war es damals gut hinausgegangen. Aber das waren liberale Zeiten. Unser DDD hingegen versteht leider keinen Spaß, wenn es um Dinge der Religion geht.
Aber hat man denn einen Beweis gegen ihn? Niemand hat ihn damals gesehen, als er sich in Frauenkleidung zum Fest der Guten Göttin schlich, dem kein Mann beiwohnen darf. Nur diese Melitta könnte gegen ihn zeugen, die Freigelassene, mit der er im Einverständnis war. Doch sie ist verschwunden, und Cornelia selber hat alle Ursache zu schweigen. Nein, es gibt kein Zeugnis gegen ihn. Oder doch? Norban hat hundert Augen, und wenn es sich um ihn handelt, um Crispin, dann sind diese Augen geschärft von Haß.
Von der Rückkehr des
Weitere Kostenlose Bücher