Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
lassen, daß sie mithalfen, diesen raschen Tod herbeizuführen. Sie waren müde geworden, sie waren von Natur eher gutmütig als bösartig, sie waren konziliant, und sie verspürten ein leises Bedauern, als sich jetzt der alte Helvid anschickte, so blind und wild in seinen Tod zu rennen. Auf die Dauer zu retten war der Mann nicht, aber warum sollte er nicht noch ein paar Jahre oder wenigstens Monate haben? Sie waren menschlich, sie wollten ihn davon abhalten, seinen Untergang zu überstürzen.
Es war nichts Ungewöhnliches, daß die beiden Herren, deren Liberalität auch die Gegner kannten – sie nannten sie Laschheit –, mit diesen Gegnern mehr oder minder offenherzige Gespräche führten, die freilich akademisch blieben. Auch jetzt suchten Marull und Regin die Gelegenheit einer solchen vertraulichen Aussprache. An dem Tag, bevor der Senat das Urteil in der Sache des Ligarius fällen sollte, traf es sich, daß sie sich mit Helvid, Priscus und Cornel auf die gewünschte Art auseinandersetzen konnten.
»Sie haben Ihrem Spanien zum Sieg verholfen, mein Helvid«, meinte Marull, »und den Ligarius gefällt. Das ist sehr viel, dazu kann man Ihnen gratulieren. Aber was wollen Sie eigentlich mehr? Wenn ein Mann wie unser Cornel so stürmisch und jugendlich vorginge, das wäre verständlich. Aber ein Herr in unserm Alter, das ist gegen die Natur.« Und Regin, auf seine gemütliche Art, fügte hinzu: »Warum geben Sie sich eigentlich so blutdürstig? Sie wissen doch genausogut wie wir, daß DDD im besten Fall ein Urteil auf Vermögenskonfiskation und Verbannung bestätigen könnte, aber nie ein Todesurteil. Ein solcher Antrag wäre also ein reines Schaustück. Haben Sie das nötig? Sie kompromittieren nur Ihren Sieg.«
»Ich will dem Senat und dem Volk von Rom zeigen«, sagte finster Helvid, »daß dieses Regime sich nicht scheut, die wichtigsten Ämter im Reich Verbrechern anzuvertrauen.« – »Mein lieber Helvid«, fragte Regin, »ist das nicht eine bedenkliche Verallgemeinerung? Es soll auch zu den Zeiten, da der Senat unbeschränkt herrschte, ab und zu ein Gouverneur wegen Unterschlagung verurteilt worden sein. Wir haben in der Schule einiges darüber gelernt. Mir sind ein paar Reden in Erinnerung über solche Gegenstände, Reden, ohne deren Vorbild selbst Ihr ausgezeichnetes Plädoyer gegen Ligarius nicht hätte gehalten werden können.« Und: »Wenn Sie ehrlich sein wollen«, sekundierte Marull, »dann müssen Sie zugeben, daß gerade unter diesem unserm Herrn und Gott Domitian die Verwaltung der Provinzen sich verbessert hat. Schön, Spanien hat einen schlechten Mann erwischt: aber schließlich hat das Reich neununddreißig Provinzen, und es sind seit Menschengedenken unter keinem Herrscher so wenig Klagen aus den Provinzen eingelaufen wie unter DDD. Nein, mein Helvid, was Sie da machen wollen, Ihr Antrag auf die Todesstrafe, das hat nichts mehr mit sachlicher Politik zu tun, das zielt nicht mehr nur auf die Abstellung von Mißständen, das ist einfach eine Demonstration gegen das Regime als solches.« Und wieder Regin: »Reden Sie Ihrem Freunde zu, mein Priscus, und Sie, mein Cornel. Er dient niemand, wenn er einen solchen Antrag stellt, uns nicht und Ihnen nicht und sich selber nicht. Es kann nur Unheil daraus entstehen.« Er sprach besonders ruhig, geradezu gemütlich. Trotzdem hörten Priscus und Cornel die Warnung heraus.
Nicht aber vernahm sie Helvid, der, noch berauscht von seinem Erfolg, nur mehr in großen Worten dachte. »Natürlich«, sagte er unwirsch, »kämpfe ich nicht gegen den Mann Ligarius als solchen; es ist mir gleichgültig, ob der verbannt wird oder getötet. Wogegen ich kämpfe – und das wissen Sie ganz genau –, das ist, daß Rom verkörpert werde durch einen einzelnen Mann. Ich kämpfe für die Souveränität der senatorischen Gerichtsbarkeit. Ich kämpfe für Roms Freiheit.« Das waren gefährliche Worte, selbst jetzt, und der besonnene Cornel versuchte abzulenken. »Sie halten eine Rede, mein Helvid«, sagte er, »Sie sprechen nicht zum Thema.« Doch Regin beschwichtigte den Besorgten durch eine kleine Handbewegung. »Keine Gefahr!« sagte er lächelnd. Er wollte sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, seinesteils einmal ein paar Worte zu diesem Thema Freiheit zu sagen, über welches sich die Senatoren so gern in absurden Phrasen ergingen. »Freiheit«, also wiederholte er das letzte Wort des Helvid, und mit seiner hellen, fettigen Stimme definierte er: »Freiheit
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