Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Beleidigung des Kaisers. Jedes harmlose kleine Witzwort, das sich einer geleistet hatte, wurde so lange gedreht und gewendet, bis es eine hochverräterische Rede war. Dem vorsichtigen Priscus, der sich, um sich nicht zu gefährden, lange Jahre in ländliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hatte, wurde gerade diese Vorsicht als Verbrechen ausgelegt; es sei kränkend für den Kaiser, daß sich ein Mann von der Begabung und Tatkraft des Priscus just unter seiner Herrschaft dem Staatsdienst entziehe. Selbstverständlich wurde seine Biographie des Paetus als aufrührerischer Hymnus auf einen Aufrührer, als verschleierte Beleidigung des Kaisers angesehen. Ungestraft überhäuften die Ankläger die Beklagten mit kalten und niedrigen Schmähungen. Der Senat wagte nicht, dagegen aufzubegehren. Die Kurie, in der er tagte, war umstellt von der Leibgarde des Kaisers. Es war seit Gründung der Stadt das erstemal, daß die regierende Körperschaft Beschlüsse fassen mußte unter der Drohung der Waffen.
Zwei Episoden dieses Prozesses blieben besonders lange im Gedächtnis der Römer haften. Da war einmal die Vernehmung der Fannia. Der Ankläger erklärte, es gehe die Rede, Priscus habe seine aufrührerische Biographie des Paetus auf ihren, der Fannia, Wunsch geschrieben, sie vor allem habe das Werk verbreitet, und er fragte sie, ob das wahr sei. Alle wußten, daß ein Ja sie ihr Vermögen kosten werde. »Ja«, erwiderte sie. Ob sie, fragte der Ankläger weiter, dem Priscus auch Material für sein Buch gegeben habe. Alle wußten, daß sie, wenn sie ein zweites Mal ja sagte, im günstigsten Fall aus Rom verbannt, daß sie vielleicht getötet werden würde. »Ja«, erwiderte sie. Ob ihre Schwägerin Gratilla, die Schwester des Paetus, darum gewußt habe, wurde sie weiter gefragt. »Nein«, antwortete sie. Auf diese drei schlichten, unerschrockenen und verächtlichen Worte, auf diese beiden Ja und auf dieses Nein beschränkte sich die Zeugnisablegung der Fannia, die sich dem Senat und dem Volk von Rom tiefer einprägte als die ausgezeichnete Rede des Anklägers.
Das zweite Geschehnis war das folgende: Helvid, der sich verloren wußte, nutzte die letzte Gelegenheit, die ihm gegeben war, noch einmal zu den Römern zu sprechen, zu einer finstern und gewaltigen Drohrede gegen den Kaiser, der der Rache Roms und der Götter nicht entgehen wird. Lautlos hörte man zu. Der blinde Messalin aber erhob sich, sichern Schrittes, als ob er sähe, ging er durch die Bänke auf Helvid zu, um selber Hand an den Schmähsüchtigen zu legen. Da indes, es war das erstemal, daß dem Blinden dies geschah, rissen ihn die andern zurück, sie schrien ihm zu: »Dieser Mann ist hundertmal wertvoller als du!«, sie beschimpften ihn, sie brachten ihn zu Fall.
Diese Zornesausbrüche verhinderten aber nicht, daß die Berufenen Väter den Helvid und den Priscus zum Tod, die Damen Fannia und Gratilla zur Verbannung, das Buch des Priscus zur Verbrennung verurteilten.
Zwei Tage später wurde der Holzstoß gerichtet für das Buch, in dem der zu richtende Priscus das Leben des gerichteten Paetus beschrieben hatte. Die Verbrennung fand statt am späten Abend. Die Flammen waren blaß, als sie sich entzündeten, denn da war es noch Tageslicht, aber sie leuchteten immer stärker mit der einfallenden Nacht, und immer lauter wurden die Rufe des zuschauenden Pöbels. Dem Priscus war es anheimgegeben worden, der Verbrennung zuzuschauen. Er tat es. Reglos hielt er den runden, völlig kahlen Kopf, mit den tiefliegenden, kleinen Augen starrte er in die Flamme, die sein Buch verzehrte. Die Exemplare, die man für die Verbrennung ausgewählt hatte, waren auf Pergament geschrieben, der alten Fannia war das kostbarste Material für dieses Buch nicht kostbar genug gewesen, und das Pergament brannte langsam und zäh, es sträubte sich gegen die Vernichtung. Priscus war ein kühler, sachlicher Herr, er hatte oft gelächelt über die Metaphern und Gleichnisse seines Freundes Helvid, dennoch verbanden sich jetzt in seiner eigenen Vorstellung mancherlei pathetische Gedanken und Bilder mit diesem Scheiterhaufen. Feuer erhellte, Feuer reinigte, Feuer war ewig, Feuer verband Menschen und Götter und machte in einem gewissen Sinne den Menschen mächtiger als die Gottheit. Vielleicht, wahrscheinlich wird gerade durch dieses Feuer sein Leben des Paetus länger dauern als das Regiment des Domitian und der Despoten, die ihm folgen mochten; aber wahrscheinlich wird ihm keiner mehr
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