Josepsson, Aevar Örn
Tuch, manchmal zuerst feucht und anschließend trocken, aber nie umgekehrt. So viel hatte sie doch aus eigener Erfahrung gelernt. Heute wirbelte sie mit dem trockenen Staubtuch und nichts anderem durch die Wohnung.
»Ich bin weg, tschüs«, krähte ihre dreizehnjährige Tochter in dem Moment, als Hólmfríður ins Wohnzimmer zurückkam. Die Tür fiel ins Schloss, noch bevor Hólmfríður Zeit hatte, sie zu fragen, wohin sie wollte. Ihr vierzehnjähriger Sohn hatte sich vor einer Stunde auf ähnliche Weise verabschiedet.
»Tschüs«, murmelte sie und begann, den Flachbildschirm abzustauben. Sie tröstete sich damit, dass sie die Kinder immer über ihre Handys erreichen könnte, und die beiden umgekehrt sie auch. Eine halbe Stunde später befand sie, dass die Wohnung so sauber war, wie es im Augenblick erforderlich war. Sie setzte sich mit dem Laptop vor den Fernseher. Auf den isländischen Sendern war nichts Interessantes, deswegen endete sie wieder einmal bei einem Naturfilm auf Animal Planet . Oder war es Discovery , da war sie sich nicht sicher, denn während die Viecher da im Fernsehen herummachten, konzentrierte sich mindestens die Hälfte ihrer Aufmerksamkeit auf das, was sie im Internet las. Sie fand nichts Neues über den Mord, und nachdem sie die Beiträge auf drei Online-Nachrichtenagenturen überflogen hatte, die alle von scheinheiliger Missbilligung über die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Benachteiligten in der Gesellschaft trieften, hatte sie die Nase gestrichen voll. Sie browste durch ausländische Webseiten, bis eine Viertelstunde später die Türklingel ging.
»Island ist das mieseste Land der Welt«, sagte sie, als sie Bárður und Ragnar hereinließ, »wusstet ihr das?«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Bárður irritiert und reichte ihr seinen halblangen Mantel zum Aufhängen.
»Eine Gesellschaft, in der ein Mensch monate-, ja sogar jahrelang tot in seiner Wohnung liegen kann, ohne dass es entdeckt wird, ist krank und außerordentlich deformiert«, zitierte sie mit übertriebenem Pathos. »Das sagt Morgunblaðið zumindest. Im Leitartikel, nichts weniger als das. Und was besagt das über uns beide, seine Sprösslinge? Oder zumindest mich, du bist ja entschuldigt.«
Bárður fasste seine Schwester bei den Schultern und zwang sie, ihm in die Augen zu blicken. »Bitte, sag das nicht«, sagte er mit zittriger Stimme. »Nimm doch dieses verdammte Geschwätz nicht so ernst. Was wissen diese Zeitungsleute über uns oder über ihn? Gar nichts, verdammt nochmal. Verdammte Heuchler sind das, die sind selber keinen Deut besser. Okay?«
Hólmfríður strich sich das krampfhafte Lächeln aus dem Gesicht.
»Okay. Kaffee?«
*
Zuerst hatte er nur Erleichterung empfunden und war unendlich zufrieden, dass Ásta so viel Verständnis und Toleranz an den Tag legte, doch dann begannen Zweifel an ihm zu nagen, und das unangenehme Gefühl, dass sie die Nachricht etwas zu gelassen aufgenommen hatte. Mit solchen Gedanken quälte sich Árni noch eine ganze Weile nach dem Abflug herum. Er war auf dem Weg nach Hause, fünf Tage – oder sechs, je nachdem, wie man rechnete, früher als geplant, und sie hatte notgedrungen allein auf Kreta zurückbleiben müssen. Sie hatte eigentlich kaum eine Miene verzogen, sondern ihm nur achselzuckend den Rat gegeben, sich schleunigst auf den Weg zu machen, wenn es denn so pressierte.
Er ging im Geiste die letzten zehn Tage durch und musste feststellen, dass er wahrscheinlich kein sehr angenehmer Urlaubspartner gewesen war. Ständig hatte er miese Laune gehabt und an allem herumgemeckert. Natürlich war sie jetzt heilfroh, ihn los zu sein. Es waren ja auch genügend andere Männer zur Stelle, überlegte er trübsinnig; gut aussehende, sonnenbraune, gut gewachsene und vor allen Dingen positiv gestimmte Männer in bestem Alter, die das Leben in vollen Zügen genossen …
Erst als er sich an den Grund dafür erinnerte, dass er jetzt auf halbem Weg nach London war, gelang es ihm, sich aus den finsteren Abgründen zu erbaulicheren Gedanken aufzuschwingen. Eigentlich konnte er Guðni genau wie die meisten anderen kaum ausstehen, aber trotzdem hoffte er, dass der Kerl durchkommen würde. Er befand, dass es vielleicht nicht unangebracht war, sich mit dem Fall vertraut zu machen.
Mit seiner Konzentration war es aber nicht weit her, zudem wurde er ständig gestört. Trotzdem gelang es ihm, sich fast den gesamten Rest des Flugs mit dem zu befassen, was Stefán ihm per
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