Josepsson, Aevar Örn
da vor ein paar Jahren erzählt haben.«
»Das glaube ich kaum«, entgegnete Ragnhildur und versuchte, fröhlich zu klingen. »Dann würdest du jedenfalls nicht so finster dreinblicken. Die Herren Doktoren haben mir seinerzeit nämlich sofort gesagt, dass es sich nur um eine geringfügige Verengung der Herzkranzgefäße handelte, die sich ganz leicht beheben ließe und dass du viel früher wieder wohlauf sein würdest, als ich überhaupt Zeit hätte, mir Sorgen zu machen. Und das hat auch genau gepasst. Also, sag mir bitte, wie die Chancen bei Guðni stehen?«
»Er wird’s überleben«, knurrte Stefán, »zumindest gehen sie davon aus. Aber diese Götter in Weiß müssen natürlich immer irgendwelche Wenn und Aber an ihre Auskünfte hängen. Wenn er die Nacht schafft, wird er es wahrscheinlich überleben. Eine Weile zumindest.«
Ragnhildur ging zu ihrem Mann hinüber, der ihr seit fast vierzig Jahren Lebensgefährte und Freund war, und schloss ihn fest in ihre Arme. »Der kommt schon durch«, murmelte sie an seiner Brust, »das wirst du sehen. Der Kerl ist zäh«. Sie drückte Stefan noch einmal fest an sich, bevor sie ihn freigab und seinen Kopf nach hinten bog, um ihm in die Augen sehen zu können. »Ist jemand bei ihm?«, fragte sie.
Stefán zuckte mit den Achseln und seufzte schwer. »Ich weiß es nicht«, gab er zögernd zu. »Katrín ist ihm ins Krankenhaus nachgefahren und eine Weile bei ihm geblieben, aber sie hat seine Tochter Helena nicht erreichen können.« Stefán sah Ragnhildur fragend an.
Ragnhildur nickte. »Ich kann mich an Helena erinnern«, sagte sie. »Wohnt sie nicht immer noch bei ihm?«
»Nein«, antwortete Stefán. »Wenn ich Guðni richtig verstanden habe, ist sie bei ihm ausgezogen, als sie achtzehn wurde. Frag mich nicht, wer von den beiden froher darüber war.«
Es gelang ihm, sich ein kleines Lächeln abzuringen, das Ragnhildur ihm intensiv vergalt. »Aber Katrín hat sie, wie gesagt, nicht erreicht.«
»Schade«, sagte Ragnhildur. »Du versuchst einfach nachher noch einmal, das Mädchen anzurufen. Und jetzt los mit dir und fahr zum Krankenhaus, sonst machst du dich hier noch total verrückt.« Stefán sah sie in gespielter Verwunderung an. »Los mit dir«, sagte sie entschlossen, »meinetwegen brauchst du nicht hier herumzuhängen. Ich bin nicht sehr erpicht darauf, dass du den ganzen Abend hier im Haus herumtigerst. Falls der arme Kerl aufwachen sollte, bestell ihm Grüße von mir.«
Solche Frauen, überlegte Stefán, als er auf die Hringbraut einbog, solche Frauen wurden nur im Eyjafjörður produziert. Dann aber fiel ihm etwas anderes ein, und er rief Katrín an.
»Gibt’s was Neues?«, fragte er.
»Nein«, entgegnete Katrín. Stefán fand, dass sie noch nie so ärgerlich geklungen hatte. »Gar nichts. Keine Spur von Úlfur, und seine Frau ist ebenfalls nicht aufzufinden, sie meldet sich nicht auf ihrem Handy, und niemand scheint zu wissen, wo sie sich aufhalten könnte. Und von Guðni auch nichts Neues. Ich werde noch eine Weile hier im Büro bleiben und sag dir Bescheid, wenn etwas passiert.«
»Mach das«, sagte Stefán. »Ich bin auf dem Weg zum Krankenhaus, ich will noch mal nach dem Kerl schauen.«
Als er vor dem Nationalkrankenhaus aus dem Auto stieg, peitschte ihm der Regen ins Gesicht, aber das merkte er gar nicht.
6
Sonntag
Árni schreckte aus dem Schlaf hoch und sah auf die Uhr. Halb zehn.
»Scheiße.« Anderthalb Stunden zu spät, Stefán würde sauer sein, und Katrín und Guðni würden ihn bestimmt den ganzen Tag damit aufziehen. Vor allem Guðni, der verdammte Kerl … Árni hüpfte aus dem Bett und warf sich in Windeseile in die Klamotten. Erst als er zu seinen Shorts griff, wurde ihm klar, wo er sich befand, und ließ sich wieder ins Bett fallen.
»Was ist los?«, murmelte Ásta in das Kissen neben ihm. »Wo willst du denn hin?«
»Ach, nichts«, gähnte Árni. »Schlaf einfach weiter.« Sie gähnte ebenfalls und gehorchte widerspruchslos.
Urlaub auf Kreta, dachte Árni. Weshalb nicht in London? Oder Paris? Amsterdam sogar, oder notfalls auch Kopenhagen? Sie waren jetzt rund eine Woche hier, und fünf Tage standen ihnen noch bevor. Er schnitt eine Grimasse, kroch geräuschlos aus dem Bett, zog den Reißverschluss am Schlitz hoch und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Er war ohnehin wach, und am besten stopfte man sich jetzt erst einmal etwas in den Magen.
Noch fünf Tage, das war fast eine ganze Woche. Der Alkohol war allerdings billig, und
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