Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Josepsson, Aevar Örn

Josepsson, Aevar Örn

Titel: Josepsson, Aevar Örn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wer ohne Sünde ist
Vom Netzwerk:
in England fast drei Jahre lang tot in ihrer Wohnung gelegen hat, bevor man sie fand, umgeben von Weihnachtspaketen vom Sozialamt. In ähnlichem Zustand wie Ólafur, wenn ich mich richtig erinnere, nur noch Haut und Knochen, aber hauptsächlich Knochen …«
    »Trotzdem«, widersprach Stefán, »das war in England, in einer Gesellschaft von Millionen von Menschen, einer Millionenstadt. Wie viele Menschen leben in London? Wir sind doch bloß dreihunderttausend hier, und davon leben rund hunderttausend in Reykjavík, das ist doch ein winziges Kaff im Vergleich zu London und diesen Städten im Ausland. Und zwei, drei Wochen sind ja auch etwas anderes als viele Monate.«
    »Das stimmt zwar«, pflichtete Katrín ihm bei, »aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Ólafur mindestens ein Jahr tot war, bevor irgendjemand etwas gemerkt hat – oder etwas unternommen hat. Und was sagt das über uns aus, die wir hier in diesem winzigen Kaff leben, wie du es nennst?«
    »Wie zum Teufel soll ich das wissen«, antwortete Stefán in resignierendem Ton. »Was mich daran erinnert …« Er blickte hoch. »Hast du Guðnis Tochter erreicht? Die kleine Helena?«
    »Ja«, antwortete Katrín gedehnt. »Sie sagt, sie würde vielleicht heute bei ihm vorbeischauen.«
    »Vielleicht?«, fragte Stefán ungläubig.
    »Ja, falls sie Zeit dazu hätte, sagte sie.« Katrín bemerkte Stefáns Miene und fühlte sich gezwungen, Partei für Helena zu ergreifen. »Mensch, come on , sie ist doch erst neunzehn, und sie hat ihren Alten doch erst voriges Jahr zum ersten Mal getroffen, und zwar unter nicht ganz normalen Umständen, wie du weißt. Sie hatte ihn noch nie in ihrem Leben gesehen und ist dann mehr oder weniger unfreiwillig bei ihm eingezogen. Ich glaube, sie hat es drei Monate bei ihm ausgehalten, und dann hatte sie die Nase voll von ihm und fand, dass es besser sei, auf eigenen Füßen zu stehen. Vielleicht waren es auch vier. Man kann wohl kaum sagen, dass sie ein enges Verhältnis zueinander hatten, sie kannte ihn ja so gut wie gar nicht.«
    Stefán Gesicht verzerrte sich wieder. »Ich weiß«, sagte er, »aber trotzdem …«
    »Trotzdem was?«
    »Ach, nichts. Man hat bloß das Gefühl …« Er verstummte mitten im Satz, als plötzlich eine kleine, stämmige Frau mit orangefarbenem Haar und weit aufgerissenen Augen in der Küchentür auftauchte, in der einen Hand eine Einkaufstüte und in der anderen eine Pistole.
    »Wer seid ihr denn?«, fragte sie mit zittriger Stimme. »Was macht ihr hier?«

7
Sonntag
    »Die sind noch bei ihrer Oma«, erklärte Tinna, als Katrín sie nach den Kindern fragte. »Wir waren da übers Wochenende.« Die Pistole, die sich als Feuerzeug entpuppt hatte, lag auf dem Tisch zwischen ihnen. »Ich … Sie wollten noch etwas länger bleiben.«
    Katrín streckte eine Hand über den Tisch, und Tinna zuckte unwillkürlich zurück. Wie ein geprügelter Hund, dachte Katrín, während sie ihr vorsichtig unters Kinn fasste. Die Platzwunde im Mundwinkel war schon fast wieder geheilt, und das Veilchen wurde an den Rändern bereits gelb.
    »Hat er das getan?«, fragte sie und gab sich Mühe, ihr Mitgefühl stärker durchklingen zu lassen als den Zorn, der in ihr kochte.
    »Das geht dich einen feuchten Kehricht an«, entgegnete Tinna abweisend und kramte in der Tasche nach ihren Zigaretten. »Ich hab das mit Ólafur im Radio gehört«, sagte sie, nachdem sie sich eine angezündet und den ersten Zug inhaliert hatte. »Seid ihr seinetwegen hier?«
    Katrín nickte. Stefán stand bewegungslos neben dem Kühlschrank, hatte die Arme verschränkt und gab keinen Ton von sich.
    »Was denn, ihr glaubt doch wohl nicht, dass Úlfur … dass Úlfur etwas damit …? Mensch, was soll das denn?«
    »Wir glauben noch gar nichts«, log Katrín, »aber wir müssen unbedingt mit Úlfur reden. Er hat sich selber – und seiner Familie – keinen Gefallen damit getan, sich aus dem Staub zu machen.« Sie erzählte Tinna in kurzen und bündigen Worten, was gestern vorgefallen war.
    »Der verdammte Idiot«, brummte Tinna, »nicht zu fassen, was für ein Idiot der Kerl sein kann. Ich verstehe ihn aber trotzdem gut«, sagte sie und deutete mit ihrer Zigarette anklagend auf Katrín. »So wie ihr ihn die letzten Jahre behandelt habt. Immer hattet ihr ihn auf dem Kieker. Kaum wird hier im Viertel ein Kiosk überfallen, schon kommt der nächstbeste dämliche Bulle daher und macht ihm die Hölle heiß. Das ist doch, wie nennt man das noch, Schikane? Verdammte

Weitere Kostenlose Bücher