Joyland
Wildlederhandschuhe aus der Gesäßtasche seiner Hose. Eddies Handschuhe. »Die lagen auf dem Boden. Warum hast du ihm die ausgezogen?«
»Äh … ich wollte, dass seine Hände atmen können.« Das klang völlig dämlich, aber die Wahrheit hätte noch weit dämlicher geklungen. Ich konnte nicht glauben, dass ich es auch nur eine Sekunde lang für möglich gehalten hatte, Linda Gray wäre von Eddie Parks ermordet worden. »In dem Erste-Hilfe-Kurs haben sie uns beigebracht, dass jemand, wenn er einen Herzinfarkt hat, so viel wie möglich bloße Haut braucht. Irgendwie hilft das.« Ich zuckte mit den Achseln. »Heißt es jedenfalls.«
»Aha. Man lernt nie aus.« Er schüttelte die Handschuhe. »Ich glaube, Eddie kommt so schnell nicht wieder, wenn überhaupt. Leg die doch bitte in seine Hundehütte, ja?«
»Okay«, sagte ich und tat wie geheißen. Ich ging am selben Tag aber noch einmal dorthin zurück und steckte sie wieder ein. Und noch etwas anderes.
*
Nur dass wir uns da richtig verstehen – ich konnte ihn nicht leiden. Warum auch. Soweit ich wusste, gab es in Joyland niemand, der ihn leiden konnte. Sogar alte Hasen wie Rozzie Gold und Paps Allen machten einen großen Bogen um ihn. Trotzdem fand ich mich an jenem Nachmittag um vier Uhr im Gemeindekrankenhaus von Heaven's Bay wieder, wo ich fragte, ob man Edward Parks bereits besuchen könne. Ich hielt seine Handschuhe in einer Hand, zusammen mit etwas anderem.
Die ehrenamtliche Empfangsdame mit dem blauen Haar ging zweimal kopfschüttelnd ihre Unterlagen durch, und ich dachte schon, Eddie wäre gestorben, da sagte sie: »Ah! Er heißt Edwin, nicht Edward. Zimmer 315. Das ist auf der Intensivstation, Sie müssen also erst noch im Dienstzimmer nachfragen.«
Ich dankte ihr und ging zum Aufzug – eines von diesen riesigen Dingern, in die auch Betten reinpassten. Er war langsamer als der alte, kalte Tod, was mir genügend Zeit gab, mich zu fragen, was ich hier eigentlich verloren hatte. Falls Eddie überhaupt von einem Angestellten des Parks Besuch bekommen sollte, dann nicht von mir, sondern von Fred Dean. Immerhin hatte der im Herbst die Leitung über den Park inne. Dennoch war ich hier. Wahrscheinlich würden sie mich sowieso nicht zu ihm lassen.
Nachdem die Stationsschwester einen Blick auf sein Krankenblatt geworfen hatte, gab sie ihre Zustimmung. »Kann jedoch sein, dass er schläft.«
»Wissen Sie, ob er …?« Ich tippte mir an den Kopf.
»Was abbekommen hat? Na ja, seinen Namen wusste er noch.«
Immerhin.
Er schlief tatsächlich. Mit seinen geschlossenen Augen und der Sonne, die erst am Nachmittag durchgebrochen war, im Gesicht war die Vorstellung, er könnte vor nur vier Jahren Linda Grays Freund gewesen sein, noch weit grotesker. Er sah mindestens aus wie hundert, vielleicht wie hundertzwanzig. Ich bemerkte gleich, dass ich die Handschuhe nicht hätte mitnehmen müssen. Jemand hatte ihm die Hände verbunden, wahrscheinlich nachdem die Schuppenflechte mit etwas Wirksamerem behandelt worden war als der rezeptfreien Creme, die er sonst verwendete. Während ich die klobigen weißen Fäustlinge betrachtete, verspürte ich, wenn auch widerstrebend, so etwas wie Mitleid.
So leise wie möglich durchquerte ich das Zimmer und legte die Handschuhe in den Schrank zu den Kleidern, die er getragen hatte, als er eingeliefert worden war. Blieb mir nur noch jene andere Sache – eine Fotografie, die in seiner unaufgeräumten, verrauchten kleinen Bude neben einem vergilbten Kalender von vor zwei Jahren gehangen hatte. Das Foto zeigte Eddie und eine eher hausbackene Frau; sie standen im von Unkraut überwucherten Vorgarten eines anonymen Reihenhauses. Ich schätzte ihn auf etwa fünfundzwanzig. Er hatte den Arm um die Frau gelegt. Sie lächelte ihn an. Und – Wunder über Wunder – er lächelte zurück.
Neben dem Bett stand ein Rolltisch mit einer Plastikkanne und einem Glas darauf. Mir kam das ziemlich albern vor; mit seinen bandagierten Händen würde Eddie sich so schnell kein Wasser einschenken. Aber immerhin, die Kanne erfüllte einen Zweck. Ich lehnte das Foto dagegen, sodass er es sehen würde, wenn er aufwachte. Dann wandte ich mich zur Tür um.
Ich hatte sie fast erreicht, als er etwas sagte. Sein Flüstern war weit entfernt von dem gehässigen Keuchen, das ich sonst von ihm gewohnt war. »Bürschchen.«
Ich kehrte – nicht eben bereitwillig – an sein Bett zurück. In einer Ecke stand ein Stuhl, aber ich hatte nicht vor, ihn mir ranzuziehen und
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