Joyland
hatte. Vielleicht hatte er recht; damals war es mit meinem Selbstbewusstsein nicht unbedingt weit her.
»Kommt er durch?«
»Wahrscheinlich. Freddy Dean hat mit irgendwelchen Ärzten gesprochen, und die haben gesagt, bla, bla, bla, der Patient muss aufhören zu rauchen, bla, bla, bla, der Patient darf nicht mehr so fett essen, bla, bla, bla, der Patient muss sich mehr bewegen.«
»Eddie Parks beim Joggen!«, sagte Erin. »Ich kann's mir richtig vorstellen.«
»Klar doch – mit einer Kippe im Mund und einem Beutel Schweineschwarten in der Hand.«
Sie kicherte. Eine Windbö blies ihr das Haar ins Gesicht. In ihrem dicken Pulli und der geschäftsmäßigen dunkelgrauen Hose sah sie der rotwangigen Schönheit, die im grünen Kleidchen in Joyland herumgerannt war und mit ihrem süßen Erin-Lächeln Leute beschwatzt hatte, sich fotografieren zu lassen, gar nicht mehr ähnlich.
»Was hast du für mich? Was hast du herausgefunden?«
Sie öffnete den Aktenkoffer und nahm eine Mappe heraus. »Bist du dir wirklich sicher, dass du dir das antun willst? Ich glaube nämlich nicht, dass du nach meinem Vortrag wie Sherlock Holmes einfach nur ›Elementar, meine liebe Erin‹ sagen und den Namen des Mörders hervorzaubern kannst.«
Falls ich einen Beweis brauchte, dass ich kein Sherlock Holmes war, musste ich nur an meine bekloppte Idee denken, Eddie Parks könnte der berüchtigte Geisterbahnmörder sein. Fast hätte ich Erin gestanden, dass ich mehr daran interessiert war, dass das Opfer endlich zur Ruhe kam, und nicht so sehr, den Mörder zu fangen, aber das hätte verrückt geklungen, selbst wenn man Toms Erlebnis mit bedachte. »Das habe ich auch nicht erwartet.«
»Nebenbei bemerkt – du schuldest mir vierzig Dollar für Fernleihgebühren.«
»Kein Problem.«
Sie stieß mir einen Finger in die Rippen. »Das hoffe ich doch. Schließlich gehe ich nicht zum Spaß auf die Uni.«
Sie stellte den Aktenkoffer zwischen ihren Füßen ab und öffnete die Mappe. Zum Vorschein kamen Fotokopien, zwei oder drei Seiten mit Schreibmaschine geschriebene Notizen und ein paar Hochglanzfotografien, die wie die Bilder der Tölpel aussahen, die sich von den Hollywood Girls hatten bezirzen lassen. »Okay, dann mal los. Ich hab mit dem Artikel im Post-Courier aus Charleston angefangen, von dem du mir erzählt hast.« Sie reichte mir eine der Fotokopien. »Ein Sonntagsbeitrag mit fünf Spalten reiner Spekulation und höchstens einer Spalte brauchbarer Information. Lies ihn später, wenn du willst – was wichtig ist, fasse ich für dich zusammen. – Vier Mädchen. Fünf, wenn du sie mitrechnest.« Sie deutete die Hauptstraße hinunter zum Horror House. »Delight Mowbray war die Erste – ihre Freunde nannten sie DeeDee. Aus Waycross, Georgia. Weiß, einundzwanzig Jahre alt. Zwei oder drei Tage bevor sie ermordet wurde, hat sie ihrer guten Freundin Jasmine Withers erzählt, sie hätte einen neuen Freund, der etwas älter sei und sehr gut aussehe. Sie wurde am 31. August 1961 neben einem Pfad am Rand vom Okefenokee-Sumpf gefunden, neun Tage nachdem sie verschwunden war. Wenn sie der Kerl nur ein Stück weiter in den Sumpf hineingetragen hätte, wäre sie vielleicht erst viel später gefunden worden.«
»Wenn überhaupt«, sagte ich. »Da drinnen dauert es keine zwanzig Minuten, und die Alligatoren fressen die Leiche.«
»Brutal, aber wahr.« Sie reichte mir eine weitere Kopie. »Das ist ein Artikel aus dem Journal-Herald in Waycross.« Auf der Fotografie war ein finster dreinblickender Polizist zu sehen, der den Gipsabdruck einer Reifenspur hochhielt. »Es wird angenommen, dass er sie an der Stelle hat liegen lassen, wo er ihr auch die Kehle durchgeschnitten hat. Die Reifenspuren stammen von einem Lieferwagen, heißt es da.«
»Er hat sie wie Unrat weggeschmissen.«
»Genauso brutal, genauso wahr.« Sie reichte mir noch eine Zeitungskopie. »Das ist Nummer zwei. Claudine Sharp aus Rocky Mount hier in North Carolina. Weiß, dreiundzwanzig Jahre alt. Wurde am 2. August 1963 tot im örtlichen Kino aufgefunden. Der Film, der gezeigt wurde, war Lawrence von Arabien, ein ziemlich langer und ziemlich lauter Streifen. Der Berichterstatter zitiert eine ›nicht namentlich genannte Polizeiquelle‹, der zufolge der Kerl ihr wahrscheinlich während einer der Schlachtszenen die Gurgel durchgeschnitten hat. Reine Spekulation natürlich. Er hat ein blutiges Hemd und ein Paar Handschuhe zurückgelassen und ist offenbar in dem Hemd, das er darunter
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