Joyland
trug, aus dem Kino rausspaziert.«
»Das ist doch ganz bestimmt der Kerl, der Linda Gray ermordet hat«, sagte ich. »Meinst du nicht?«
»Klingt jedenfalls danach. Die Polizei hat alle ihre Freunde verhört, aber Claudine hat ihnen nichts von einem neuen Freund erzählt.«
»Oder mit wem sie an dem Abend ins Kino gegangen ist? Nicht einmal ihren Eltern?«
Erin sah mich nachsichtig an. »Sie war dreiundzwanzig, Dev, nicht vierzehn. Ihre Eltern haben am anderen Ende der Stadt gewohnt. Sie hat in einer Drogerie gearbeitet und eine kleine Wohnung obendrüber gemietet.«
»Hast du das alles aus dem Zeitungsartikel?«
»Natürlich nicht. Ich habe auch ein paar Leute angerufen. Dabei hab ich mir die Finger wund gewählt, wenn du es genau wissen möchtest. Für Ferngespräche schuldest du mir auch noch was. Zu Claudine Sharp später mehr. Opfer Nummer drei war – der Geschichte im Post-Courier zufolge – eine junge Frau aus Santee in South Carolina. Inzwischen sind wir im Jahr 1965 angekommen. Eva Longbottom, neunzehn Jahre alt. Schwarz. Wurde am 4. Juli zum letzten Mal gesehen. Neun Tage später wurde ihre Leiche von Anglern am Nordufer des Santees gefunden. Sie ist vergewaltigt und mit einem Messerstich ins Herz getötet worden. Die anderen waren weder schwarz, noch wurden sie vergewaltigt. Du kannst sie auf die Liste mit den Opfern des Geisterbahnmörders setzen, wenn du willst, aber ich habe da so meine Zweifel. Das letzte Opfer – vor Linda Gray – war sie hier.«
Erin reichte mir eine Fotografie, die ganz offensichtlich aus einem Highschool-Jahrbuch stammte. Darauf war eine umwerfend hübsche Blondine zu sehen – die Sorte Mädchen, die das Cheerleader-Team leiteten, mit dem Quarterback ausgingen … und trotzdem von allen gemocht wurden.
»Darlene Stamnacher. Wahrscheinlich hätte sie ihren Nachnamen geändert, wenn sie zum Film gegangen wäre, was sie auch erklärtermaßen vorhatte. Weiß, neunzehn Jahre alt. Aus Maxton in North Carolina. Verschwunden am 29. Juni 1967. Zwei Tage später wurde sie gefunden, und zwar nach einer groß angelegten Suchaktion. Hinter einer Hütte am Straßenrand mitten im Kiefernwald südlich von Elrod. Mit durchgeschnittener Gurgel.«
»Himmel, sie ist wunderschön. Hatte sie denn keinen festen Freund?«
»Stellt sich die Frage bei so einer Schönheit überhaupt? Den wollte sich die Polizei auch als Erstes vorknöpfen. Aber er war gar nicht in der Gegend, sondern mit drei Kumpels, die alle für ihn gebürgt haben, in den Blue Ridge Mountains zelten. Sofern er nicht die Arme ausgebreitet hat und kurz mal nach Hause geflattert ist, war er es nicht.«
»Dann kam Linda Gray«, sagte ich. »Nummer fünf. Jedenfalls, wenn sie alle vom selben Kerl umgebracht wurden.«
Erin hob lehrerhaft einen Finger. »Und nur wenn alle Opfer auch gefunden wurden. Genauso gut kann es noch andere geben, in den Jahren 62, 64, 66 … du weißt schon.«
Der Wind fuhr klagend durch die Verstrebungen des Riesenrads.
»Und jetzt zu den Sachen, die mir Kopfzerbrechen bereiten«, sagte Erin … als reichten da nicht fünf tote Mädchen. Sie entnahm der Mappe eine weitere Fotokopie. Einen Handzettel – einen »Streuzettel« im Jargon – der für etwas warb, was sich Manly Wellman's Show of 1000 Wonders nannte. Darauf waren zwei Clowns zu sehen, die ein Pergament hielten, auf dem einige der Wunder aufgezählt wurden, zu denen auch DIE BESTEN MONSTROSITÄTEN UND KURIOSITÄTEN IN GANZ AMERIKA gehörten. Außerdem gab es Karusselle, Spiele, verschiedene Attraktionen für Kinder und DIE UNHEIMLICHSTE GEISTERBAHN DER WELT.
Tritt ein – wenn du es wagst, dachte ich bei mir.
»Das hast du auch über die Fernleihe gekriegt?«, fragte ich.
»Ja. Ich hab festgestellt, dass man über die Fernleihe so gut wie alles bekommt, wenn man nur genug nachforscht. Oder vielleicht sollte ich eher sagen, wenn man die Ohren spitzt. In Wirklichkeit handelt es sich nämlich um den größten Buschfunk der Welt. Die Anzeige ist im Journal-Herald aus Waycross erschienen, und zwar in der ersten Augustwoche 1961.«
»War die Wellman-Show in Waycross, als das erste Mädchen verschwunden ist?«
»Sie hieß DeeDee Mowbray, und nein – die Show war schon weitergezogen. Aber sie war da, als DeeDee ihrer Freundin erzählt hat, sie hätte einen neuen Freund. Jetzt guck dir das an. Das stammt aus dem Rocky Mount Telegram und lief dort Mitte Juli 1963 eine Woche lang. Die übliche Vorabwerbung. Muss ich dir wahrscheinlich nicht erst
Weitere Kostenlose Bücher