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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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fühlte sein Blut wellen, steigen, fallen. Der Abend kam, Föhn ging in warmen Stößen, in den Bäumen nebelte vor ihm das Bild des Mädchens, ihre weichen, scheuen Formen; er schnaufte leise. »So mögen die Weiber ausgeschaut haben«, sprach Weißensee seine Träume vor sich hin, und sie galten dem Herzog, »die Weiber, die der König Salomo sich hielt. Tausend Weiber hielt er sich. So waren die Könige ausdem Alten Testament. Des Herrn Finanzdirektors seinem Testament.« Und er lachte ein kleines, stilles Lachen.
    Karl Alexander stand plötzlich auf, klopfte sich Reiser und welkes Laub des Waldbodens vom Rock, sagte, die Stimme gepreßt, zu Weißensee, er wolle noch ein weniges allein im Wald spazierengehen. Weißensee möge ihn bei den anderen Herren entschuldigen; sie sollten nicht auf ihn warten, sollten nach Hause kehren, ihm den Wagen zurückschicken; den Neuffer behalte er da. Der Konsistorialpräsident neigte sich, ging. Erst wie er allein war, atmete er hoch, breitete die Arme, verzerrte das bewegliche Gesicht, stieß seltsame, schnurrende, glucksende Laute aus.
    Karl Alexander ging indes, so rasch es der lahmende Fuß zuließ, gefolgt von dem Kammerdiener, zurück durch den Wald, in den der Abend einfiel. Als er an das Haus mit den Terrassen kam, war es schon ganz dunkel, fetzig, schwärzlich zogen schnelle Wolken, kein Mond war, in starken, warmen Stößen riß ihm der Wind den Atem weg. Das gute Abenteuer! Jung war man, jung! Stieg über Zäune, schlich nächtlich durch den Wald. Ei, gut war das, besser als mit dem lausigen Parlamentsgesindel sich über Paragraphen streiten. Hätte man noch die Larve vorm Gesicht, fühlte man sich wie in Venedig so jung.
    Schlug kein Hund an? Vielleicht hatte der Magus Zauberkreise gezogen, die Schwelle mit Hexerei gebannt, daß, wer sie überschritt, sich nicht regen konnte.
    Er ließ den Neuffer zurückbleiben, umstrich späherisch das Haus. Er hatte sich den einfachen Grundriß leicht gemerkt. Dort war das Zimmer des Mädchens, es lag dunkel. Wo das Licht brannte, das war der Raum mit den magischen Zeichnungen. Sollte sie dort –? An dem Spalier war leicht hinaufzuklettern. Er wird ja sehen.
    Leicht ächzend kletterte er ins Fenster. Ja, dort saß sie, Arme schlaff, ganz still, mit ihren großen, ängstlichen ratlosen Augen. »Pst!« rief er sie flüsternd an, schmunzelnd, blinzelnd, schlau.
    Sie schrak auf, sah das rote, massige Gesicht, die blauen, gierig hervorquellenden Augen. Warf krampfig den Oberkörper zurück, starrte vergraust auf den Schnaufenden. Er lachte: »Hab ich Sie erschreckt? Dummes Kind! Hab Sie keine Angst!« Er schwang sich vollends ins Zimmer, kam schnaufend, schwitzend auf sie zu: »Gelt, da schaut Sie, was Ihr Landesvater für ein Kletterer ist.« Sie, im letzten Augenblick, flatterte in die äußerste Ecke des Zimmers, sinnlos unhörbare Gebete lallend, kauerte sich in sich zusammen. Er, ihr nach, sprach beruhigend wie zu einem kleinen Kinde auf sie ein; doch seine grauenhafte Freundlichkeit ließ sie noch schreckhafter schauern. Die Augen wie gefrorene Seen, die Lippen weiß, starrte sie auf ihn, bis er endlich ungeduldig, brutal sie an sich riß, küssend über die Eiskalte herfiel, nach ihrer Brust tastete. Unter den Händen fort glitt sie ihm, schrie mit kleiner, tonloser Kinderstimme nach dem Oheim, riß sich los, gewann die Tür, wehte eine Treppe hinauf. Die Treppe führte zum Dach.
    Oben angelangt, atmete sie heftig, hastig die nächtige Föhnluft ein. Der warme, feuchte Wind nahm sie in seine Arme, trieb sie vor. Sie lauschte hinter sich, es blieb still. Sie breitete die Arme, fühlte sich frei, der Oheim hatte geholfen, jetzt wehte der feuchte, wohlige Wind den Dunst und Atem des Tieres fort von ihr. Sie schritt, tanzend fast, vor an den Rand des sehr flachen Daches. Kamen nicht Stimmen aus dem Wald? Die tiefe, samten streichelnde des Vaters und die knarrende, mißlaunige und doch, oh!, so tröstliche des Oheims. Und sie lächelte in die Nacht hinaus.
    Da stapfte es die Treppe herauf, schnaufend, leise fluchend. Das Tier. Aber jetzt blieb sie ohne Angst. Da wehte es schon her vom Wald, ein Wagen mit luftigen Pferden bespannt, hielt am Dach. Lächelnd, mit gleitendem Schritt stieg sie ein.
    Karl Alexander, wie er oben war, sah nichts. Sie war doch die Treppe heraufgeweht, und die bot keinen andern Ausgang. Hatte sie, Gift und Opperment!, von den hexischen Künsten des Alten gelernt, sich in den Nachtvogel dort verwandelt,segelte

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