Jud Sueß
Man suchte altmodische Bilder her, auf denen sich Karl Rudolf an der Spitze von Truppen in verschollenen Uniformen mit pumphosigen Türken und krummsäbeligen Sarazenen herumschlug, und wo der kleine, schiefe, schäbige Soldat erschien, schrie man »Hoch!«.
Die biedere, sachliche Art des alten Regenten imponierte vor allem dem Landschaftskonsulenten Veit Ludwig Neuffer. Aus einem düster glühenden Anbeter der Macht war er ein ebenso düster schwelender Tyrannenhasser geworden. Jetzt erkannte er, dies wie jenes war nur eine Farbe, eine Fahne, nicht der Kern, nicht das Wesen. Pflicht! Gerechtigkeit! Autorität!, das war der Sinn aller Staatskunst, das Rückgrat guten Regiments. Karl Rudolf fand Gefallen an dem mageren Menschen, an seiner schäbig trotzigen Art, sich zu kleiden, sich zu geben, an seinem dürren Fanatismus. Auch stand er in irgendeinem, freilich wußte man nicht recht welchem, Zusammenhang mit der Erledigung des letzten, schlechten Herzogs und des Juden. Karl Rudolf berief auch ihn ins Kabinett. Da saß nun der trocken glühende Mann und regierte, eisern pflichttreu, eisern gerecht, Autorität fordernd und Autorität gebend.
So war mit viel Wolken und Wind ein Frühjahr vergangen,ein strahlender Frühsommer, ein drückender, vielgewittriger Sommer, jetzt neigte sich ein klarer Herbst zu Ende, erster Frost setzte ein, und Süß stak noch immer zwischen den triefenden, engen Wänden seiner Zelle. Er war jetzt gedrückt und trüb. Es war nicht schwer, Folter zu ertragen, es war vermutlich auch nicht schwer zu sterben, aber es wurde mit jedem Tag schwerere Last, die stinkige Luft dieser Haft zu atmen, das ekle Brot dieser Festung zu schlingen. Sein Rücken war gekrümmt, seine Glieder verzerrt, seine Gelenke wundgescheuert von den Fesseln. Draußen war Luft, draußen war Sonne und Wind, draußen waren Bäume und Felder, Häuser und helle Stimmen, Männer gingen geschäftig und gewichtig, Kinder sprangen, Mädchen schaukelten die Röcke. Oh, einmal einen Mund voll freier, wehender Luft, einmal sieben Schritte machen dürfen statt der fünfeinhalb durch die Zelle. Er schrieb. Er schrieb an den Herzog-Administrator. Der war ein betagter Herr; vielleicht hörte er. Er schrieb ehrerbietig, nicht servil, sachlich. Wies sachlich, ohne Erbitterung, nach, daß er nach den Gesetzen des Herzogtums nicht schuldig sei. Selbst übrigens, wenn er sich da und dort gegen die Ordnungen des Landes verfehlt habe, schütze ihn sein von dem Herzog Karl Alexander ihm zugestelltes Absolutorium, nach dem er nicht könne verantwortlich gemacht werden. Dennoch sei er erbötig, zu ersetzen, was durch seine Tätigkeit jemand an Schaden zugefügt sei. Bereits sei er vierunddreißig Wochen im Arrest und zum Teil geschlossen. Er sei auf der Festung ein alter Mann geworden. Er hoffe daher, der Herzog-Administrator, dem er sich zu Füßen lege, werde für ihn Gnade haben.
Mit einer Spannung wie lange nicht mehr wartete er auf Bescheid. Morgen kam und Abend und wieder ein Tag und noch einer und eine Woche und aber eine Woche. Endlich, bei dem täglichen Verhör zwischen neun und zehn Uhr, nachdem der Major Glaser ihm triumphierend wieder ein paar Frauennamen genannt hatte, die die Kommission ausgeschnüffelt hatte, fragte er geradezu, ob keine Antwort vomHerzog-Administrator eingelaufen sei. Der Major fragte kalt höhnend zurück, ob er im Ernst glaube, daß man den Regenten mit seinen jüdischen Frechheiten molestiere; selbstverständlich habe man seine Expektorationen, als eines verstockten Schelmen und Juden, nicht an den Herzog, sondern nur an die Richter geleitet. An den Geheimrat Pflug berichtete er in seinem täglichen Referat, der Hebräer, die Bestie, sei ganz klein geworden bei diesem Bescheid.
Doch Süß hatte alle Räder der alten Zähigkeit und Tatkraft wieder angedreht. Er wollte atmen, er wollte am Licht sein. Seit den unglücklichen Versuchen des Magisters Schober durfte er keine Besuche mehr empfangen, selbst sein Verteidiger, der brave Lizentiat Mögling, wurde nicht mehr zugelassen. Doch in dem kranken, zerbrochenen Mann war die alte Schlauheit wach geworden. Er bat angemessen um Verstattung eines Geistlichen. Den konnte man nicht wohl verweigern. Den wollte er zur Mittelsperson machen, um durch ihn den alten Regenten zu erreichen. Allein seine Hoffnung war rasch vereitelt; man schickte ihm den Stadtvikar Hoffmann, den er als alten Anhänger der Verfassungspartei und erklärten Gegner kannte. Der Vikar glaubte
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