Jud Sueß
für die Mitwirkung an seiner Entlarvung. Ziemlich reserviert versprach man ihm, sich für ihn zu verwenden, ließ etwas fallen von Anstellung im Staatsdienst. Wie er eifrig berichtigte, aufklärte, darauf beharrte, er habe mit Willen, ja im Auftrag des Süß die ketzerischen Pläne offenbart, wurde man ungeduldig, sagte, er solle keine Witze machen, glaubte an Erpressungsversuche, an irgendwelche Manöver des Juden. Vor allem der Geheimrat Pflug witterte einen ganz verruchten Verteidigungsplan des Süß und bewirkte, daß man den Magister, als er nicht abließ und die Richter immer wieder mit seinen Märchen behelligte, ins Gefängnis setzte. Da der Jude selber aber nichts in der Richtung der Schoberschen Äußerungen zu seiner Verteidigung vorbrachte, hielt man den Magister schließlich einfach für geistesgestört, für einen harmlosen Verrückten, erklärte seinen Irrsinn aus seiner Pietisterei und Schwarmgeisterei und ließ ihn mit einer scharfen Verwarnung laufen. Erschöpft vom Entsetzen über die Verstrickungen und die Blindheit der Welt, zog sich der Magister nach Hirsau zurück und lebte der Tugend, der alten Katze und der Poesie.
Nach Hirsau auch folgte ihm bald Philipp Heinrich Weißensee. Weißensee hatte auf das Amt des Konsistorialpräsidenten resignieren müssen. Vielleicht hätte der frühere Weißensee sich halten können; der Geheimrat Heinrich Andreas Schütz etwa war im Grund viel enger verstrickt in das katholische Projekt und hatte sich doch, der geschmeidige Mann, unter dem Herzog-Administrator Karl Rudolf so gut behaupten können wie in jeder früheren Regierung, undWeißensee war zumindest ebenso schmiegsam wie er. Aber er war müde und ausgelaugt, er ließ sich fallen mehr, als daß er gestürzt wurde. Magdalen Sibylle war der Vater sehr fremd geworden. Jetzt in seinem Verfall zog er sie an, sie suchte wieder an ihn heranzukommen, sie fand, es sei ihm unrecht geschehen, schrieb Verse, in denen er als nicht durch Schuld, sondern durch Glücksspiel und Menschenhaß gestürzt hingestellt wurde. Doch der alte Weißensee ließ sie nicht an sich heran, er verkrustete sich gegen sie, sie war ihm in ihrer Verbürgerlichung tief zuwider, und ihre Schwangerschaft reizte ihn bis zu leiblichem Ekel. Was hatte er mit dieser dicken Frau gemein? Er fühlte nichts für sie, es kam nichts herüber von ihr zu ihm. Was sollte ihm ein Enkel aus ihr und dem Samen des Immanuel Rieger, des hageren, unansehnlichen, schnurrbärtigen, braven, pedantischen, leergesichtigen Mannes? Nein, nein! Das ging ihn nichts an, rührte ihm nicht im leisesten Herz und Blut auf. Dazu schämte er sich der albernen Dichterei der Tochter. Ein medizinischer und poetischer Freund, der Doktor Daniel Wilhelm Triller, hatte jetzt ihre Gedichte drucken lassen, der Göttinger Pietistenkreis hatte erwirkt, daß der Prorektor der dortigen Universität, der Professor Seldner, in seiner Eigenschaft als kaiserlicher Pfalzgraf Magdalen Sibylle zur gekrönten Dichterin erhob. Armer Kurfürst von Hannover, armer König von England, der für solche Universität und solche Ästhetik, einen solchen Kritikaster und Marsyas verantwortlich war. Nun zog das hin und her mit nüchternen, törichten, gereimten Gratulationen und Dankgedichten, und die Frau, die das trieb, dieweil sie ein Kind trug, diese armselige Poeta laureata, war seine Tochter! Der alte, feine Herr, dessen Leben Takt und Weltgefühl und Erlesenheit und Diplomatie war, schämte sich. Ihn ekelte, er zog sich, arm, kahl, zurück nach Hirsau zu seinem Bibelkommentar.
Unterdes blühte das Land auf. Atmete, reckte sich, nicht mehr von drosselnder Hand gewürgt. Die Preise gingen herunter,senkten sich unter das Niveau der ersten, guten Regierungsjahre Karl Alexanders. Sechs Pfund Brot kosteten neun Kreuzer, der Schoppen alter Wein im Ausschank sechs Kreuzer, das Pfund Ochsen- oder Schweinefleisch fünf Kreuzer, die Maß Bier zwei Kreuzer drei Heller, ein Klafter buchenes Holz zehn, tannenes fünf Gulden. Und wenngleich es sonst innerpolitisch nicht eben zum besten aussah – Pflicht! sagte Karl Rudolf; Gerechtigkeit! Autorität! und war nicht gewillt, dem Parlament gegenüber von seinen fürstlichen Rechten auch nur ein Tipfelchen abzulassen –, so berief er anderseits den klugen, festen, redlichen, umsichtigen Bilfinger ins Kabinett, und solche Sicherung der religiösen und bürgerlichen Freiheiten war zusammen mit der wirtschaftlichen Entspannung Ursach genug zu allgemeiner Zufriedenheit.
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