Jud Sueß
an.
Schon andern Tages in aller Frühe erschien ein Detachement Husaren in dem Dorfe Freudenthal. Die Soldaten rückten vor das Schloß, besetzten alle Ausgänge. Der Führer, Oberst Streithorst, gefolgt von seinem Adjutanten, ging, an dem schlotternden Kastellan vorbei, in die Vorhalle. Hier trat ihm der Haushofmeister entgegen, an allen Türen tuschelte aufgeregte, ängstlich neugierige Dienerschaft. Die Exzellenz sei nicht zu sprechen, erklärte hastig der Haushofmeister, die Exzellenz sei noch zu Bette. So werde er einige Minuten warten, entgegnete gelassen der Offizier und setzte sich. Und der Haushofmeister dringlich, überhastet: die Frau Gräfin sei unpaß, sie bedaure sehr, überhaupt nicht empfangen zu können. Wenn der Herr Oberst Ordres von Seiner Durchlaucht bringe, möge er sie dem Sekretär übergeben. Der Oberst, immer korrekt und kühl, es sei ihm leid, er habe Befehl, unter allen Umständen die Frau Gräfin selbst zu sprechen.
Über dem erschien die Mutter der Gräfin. Kolossig stand die erdfarbene Uralte in der Tür, die zu den Zimmern der Tochter führte. Der Oberst salutierte, wiederholte, unerregt und sachlich, seinen Auftrag. Die Alte mit ihrer röchelnden, tiefen Stimme herrschte ihn an, er solle sich scheren; er wisseso gut wie sein Herr, ihre Tochter sei reichsunmittelbare Gräfin, nur der römischen Majestät unterstellt. Der Offizier achselzuckte, er sei kein Jurist, und so gehe sein Auftrag, und er gebe der Frau Gräfin eine halbe Stunde Zeit, sich anzukleiden; dann werde er die Tür sprengen lassen. Keifend und massig pflanzte die Alte sich hin: das sei Landfriedensbruch, und man werde sich bei schwäbischer Reichsritterschaft beschweren, und sein Herr werde es schwer büßen müssen, und er werde schimpflich kassiert werden. Es seien jetzt noch sechsundzwanzig Minuten, erwiderte der Oberst.
Die Gräfin indes, in rasender Eile, fegte in ihren Zimmern herum, verbrannte Papiere, schichtete, siegelte, übergab ihrem Sekretär. Als der Offizier bei ihr eindrang, lag sie in einem prunkvollen Nachtgewand zu Bett, richtete sich hoch, ganz empörte Unschuld. Fragte mit schwacher Stimme, was man von ihr wolle. Herr von Streithorst entschuldigte sich, er habe strikte Ordre von dem Herrn Herzog selbst, Ihre Exzellenz unter Bedeckung fortzubringen. Kreischen der Zofen, haßerfüllte, röchelnde Beschimpfungen der Alten, Ohnmacht der Gräfin. Der Offizier unerschütterlich. Als sie wieder zu sich kam, während die Alte den Oberst als Mörder begeiferte, sagte sie, die Stimme gebrochen und wie die eines kleinen Mädchens, sie sei in seiner Gewalt, sie wisse, daß er sie wegführen könne, ehe die Reichsritterschaft gewaffneten Widerstands fähig sei. Sie sei sehr ernstlich krank, dieser Überfall habe ihr schlimm zugesetzt, und wenn er darauf bestehe, sie in solchem Zustand wegzubringen, so werde das ihr Tod sein. Sie sprach mühsam, in Atemnot, ringsum flennten die Zofen. Es dauerte vier Stunden, bis der Oberst sie in der Kutsche hatte und sie inmitten der Reiter in den regnichten Tag wegführen konnte. Die Mutter und zwei Zofen begleiteten sie. An ihrem Weg standen dumm glotzend ihre Bauern. Aber die Freudenthaler Juden hatten sich in ihrem Betsaal versammelt, in großer Angst um Leib und Gut, und beteten für ihre Schützerin.
Die Gräfin wurde nach Urach gebracht und dort als Standesperson in allem Respekt gehalten, durfte aber Schloß undPark nicht verlassen. Sie gab sich hochfahrend, schikanierte die Dienerschaft bis aufs Blut und verblüffte sie durch ungeheure Trinkgelder. Den Kommissaren des Herzogs verweigerte sie jede Auskunft, sie habe als regierende Reichsgräfin nur dem Kaiser Red und Antwort zu stehen. Als gar die schwäbische Reichsritterschaft sich in die Sache mengte und über ihre durch die Verhaftung der Gräfin in dem reichsfreien Rittergut Freudenthal verletzten Rechte klagte, triumphierte sie, und ihr Sachwalter erhob in Wien Klage in einer Sprache, wie sie gegen das württembergische Haus noch nie geführt worden war. Überall im Reich sprengten ihre Agenten Gerüchte aus, wie groß die Rechtsunsicherheit sei im Herzogtum, wenn nicht einmal die Freiheit ritterschaftlicher Person gewahrt würde. Isaak Landauer erklärte, sacht den Kopf wiegend, dem Gesandten der Generalstaaten, unter solchen Umständen sei es eine mißliche Sache, in Württemberg Kapital stehenzulassen, seine Worte wurden in den Kontoren der großen Geldleute kolportiert und wirkten gefährlich weiter.
Im
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