Jud Sueß
Ausbrüche nicht verdrießen. Hatte ihm der Prinz, nachdem er ihn für Mittag bestellt, durch Neuffer sagen lassen, heut stehe ihm der Humor nicht nach hebräischem Gestank, so erschien er des Abends dennoch mit der gleichen lächelnd beflissenen Dienstwilligkeit. Nie hatte ihn ein Mensch so gefesselt wie Karl Alexander, er studierte jede kleinste Geste von ihm mit stiller Aufmerksamkeit, seine Vertraulichkeiten beglückten ihn, seine Brutalitäten imponierten ihm, alles, was der Prinz tat und ließ, diente nur, den Juden fester an ihn zu binden.
Mittlerweile kam Nicklas Pfäffle zurück und meldete, Rabbi Gabriel werde kommen.
Die Gräfin war fort, für seine Geschäfte brauchte Süß den Kabbalisten nicht mehr, die Verbindung mit der Gräfin, die Beteiligung an der Aktion Isaak Landauers war hergestellt. Süß, der glückliche Mensch des Augenblicks, vergaß den Anlaß, aus dem er den Rabbi berufen, wußte nur mehr, daß er ihm keinen andern Anlaß genannt als den dringenden Wunsch, in sein Auge zu sehen, von seinen Lippen zu hören. Er kam sich edel vor und hochherzig, daß er es wagte, an das Verkapselte zu rühren, und hatte in sich jedes Erinnern weggewischt, daß er den Unheimlichen, Unbehaglichen aus sehr anderen Gründen beschickt hatte.
Aber wie Rabbi Gabriel vor ihm stand, war seine schöne, elegant federnde Sicherheit jäh und unerklärbar weg. Er dachte noch: Daß er sich immer so altmodisch trägt! Aber das dachte er eigentlich schon nur nebenher und unüberzeugt. Das scheue, dumpfe Gefühl war über ihm, das unentrinnbar wie die Luft, die man atmete, überall lag, wo Rabbi Gabriel erschien.
»Du hast mich wegen des Mädchens beschickt?« begann die knarrige, mißlaunige Stimme. Der andere wollte erwidern, heftig, sich wehren, er hatte mehrere flinke, schöne Sätze vorbereitet, aber die endlose, hoffnungslose Traurigkeit, die von den trübgrauen Augen ausging, lähmte ihn, wand sich um ihn wie Schnüre. »Oder ist es nicht wegen des Mädchens?« Und trotzdem die Stimme jetzt müde klang und ohne Hebung, schnitt sie wie Hohn, und Süß in seiner guten Haltung und in seinen prächtigen Kleidern schien merkwürdig klein und gedrückt vor dem dicklichen, unansehnlichen Mann, den man für einen höheren Beamten halten mochte oder für einen Bürger.
Er konnte doch sonst so sicher und überzeugend sprechen. Oh, wie behend hüpften ihm die Worte von den Lippen und sprangen an dem Partner hinauf und kletterten hoch an ihm und schmiegten sich in jede Lücke und schwache Stelle. Warum fiel seine Rede jetzt so matt und unüberzeugt, daß erhalb im Satz verstummte, ehe er zu Ende war? Gewiß, gab er zu, er habe versprochen, das Kind zu sich zu nehmen. Aber es sei nicht gut, wenn er das jetzt tue. Für ihn nicht und für das Kind nicht. Er habe so tausend Geschäfte und sei so gehetzt und hin und her getrieben. Und bei Rabbi Gabriel sei Naemi doch ganz anders behütet, und wenn er, Süß, sich auch für Bildung interessiere und Geistiges, für das Mädchen komme doch das Weltmännische weniger in Frage als eben die Dinge, die der Oheim besser verstehe als er.
Er flickte diese Argumente zusammen, hastig, fahrig und ohne Kraft. Verstummte. Sah die trübgrauen Augen vor sich, in dem massigen, lustlosen Gesicht die kleine Nase, die breit wuchtende Stirn, senkrecht über der Nase zerschnitten von drei Furchen, scharf, tief, kurz, und er sah, diese Furchen bildeten den heiligen Buchstaben, das Schin, den Anfang des Gottesnamens, Schaddai.
Rabbi Gabriel nahm sich nicht die Mühe, auf die Einwürfe des andern zu erwidern. Er schaute ihn nur an, langsam, mit den trüben steinernen, wissenden Augen, und schwieg.
Und während dieses Schweigens sprang plötzlich schmerzhaft das Verkapselte auf, und das Jahr lag bloß, jenes seltsame und unbegreifliche Stück Leben, das Jahr in der kleinen, holländischen Stadt, das Süß geflissentlich und doch mit einem geheimen Stolz, etwas Störendes und höchst Unpassendes, vor sich und aller Welt versteckte. Er sah das weiße, verschlossene Antlitz der Frau, voll Hingabe und doch so unsagbar fremd, er sah die rührenden, gelösten Glieder, er sah die Tote, die verlöscht war, wie sie aufgeglommen, kaum die neue Kerze gezündet. Er sah das Kind, sich selber in einer seligen und gleichzeitig so entsetzlich drückenden Ratlosigkeit. Er sah den Oheim, den unbehaglichen, unheimlichen, der jäh da war wie selbstverständlich und wie selbstverständlich wieder mit dem Kind ins Dunkle
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