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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Undurchdringlichkeit zwischen ihn und die zahllosen Bekannten, die seine großen, behaglichen Räume füllten. Er war ein ausgezeichneter Mathematiker, war eng befreundet mit den beiden besten Theologen des westlichen Deutschlands, dem stillen, ernsthaften, wahrhaft frommen Johann Albrecht Bengel und dem geraden, festen Georg Bernhard Bilfinger. Seine kritische Ausgabe des Neuen Testaments, bis jetzt freilich nur zum kleineren Teil erschienen, war weit über Württemberg hinaus berühmt, sein Wort mit ausschlaggebend im landschaftlichen Ausschuß.
    Aber es fehlte seiner mannigfachen Beschäftigung dieWärme. Wohl erfüllte er alles, daran er Hand legte, bis in jede Ecke mit Tätigkeit und sachkundigem Betrieb. Doch ob es das Neue Testament war oder ein Referat im Landtag oder die Anpflanzung einer neuen Sorte in seiner Obstkultur, er nahm es spielerisch, es gab nichts, das ihm über die Nerven hinaus ins Herz drang.
    In den weiten Räumen mit den mächtigen, weißen Vorhängen ging groß und schlicht seine Tochter Magdalen Sibylle herum, neunzehnjährig, bräunliches, männlich kühnes Gesicht, weite, blaue, erfüllte Augen, sehr merkwürdig und verwirrend unter dem dunkeln Haar. Die Mutter war früh gestorben, zu der immer gleichbleibenden, lauen Freundlichkeit des Vaters fand sie keinen Weg. Der Umgang mit der Tochter des Stuttgarter Landschaftskonsulenten, Beata Sturmin, und die Lektüre Swedenborgs hatten die Vereinsamte in pietistische Zirkel getrieben.
    Denn es blühten die Konventikel im Land, die Bibelkollegien. Trotz aller Verbote und Strafen traten unter der Not der Zeit überall im Herzogtum Gläubige und Erweckte auf. Freilich gab es in dem kleinen Hirsau keine Heilige wie Magdalen Sibyllens Stuttgarter Freundin und Führerin, die blinde Beata Sturmin, die mit Gott im Gebet rang, ihm die Ohren mit Verheißungen rieb, die er erhören mußte, ihm durch wahllos zufälliges Aufschlagen von Bibelstellen Orakel abnötigte. Aber es lebte in dem stillen Ort ein gewisser Magister Jaakob Polykarp Schober, der die Schriften Poirets, Böhmes, Bourignons, Leades, Arnolds gelesen hatte, auch die verbotenen Bücher vom Ewigen Evangelium und der Philadelphischen Sozietät, ein gutmütiger, einfältiger Mensch, der sanft vor sich hin trieb und lange sinnierende Spaziergänge liebte. Der hielt in Hirsau ein Bibelkollegium ab, und daran nahm auch Magdalen Sibylle teil, die Tochter des Prälaten. Die weiten, blauen Augen unter dem dunkeln Haar in ein Fernes, Erträumtes versenkt, saß sie groß und schön mit dem männlich kühnen, bräunlichen Gesicht unter den Frommen, Armseligen, Gedrückten, Blassen, Verhutzelten des Collegium Philobiblicum, sie suchte durchzufälliges Aufschlagen der Schrift Orakel, sie kämpfte im Gebet mit Gott, daß er ihrem Vater Gnade und Erweckung fließen lasse.
    Der würzburgische Geheimrat war ihr in tiefer Seele zuwider, und sie grämte sich ab, den Vater in dieser weltlichen, heidnischen Gesellschaft zu sehen. Der Katholik hatte von dem neumodischen Zeugs mitgebracht, das die Kannibalen erfunden haben, Kaffee hieß es, und von dem mußte man ihm einen schwarzen, stark riechenden Saft bereiten. Magdalen Sibylle schaute mit scheuen, angewiderten Augen, wie auch der Vater von dem Teufelstrank genoß, und betete mit aller Inbrunst, Gott möge ihn nicht daran vergiften lassen.
    Da saßen nun die beiden Männer bei solchem Trank oder beim Wein und sprachen endlos über die eitlen Dinge des Reiches und ganz verruchten Kirchenbabylons, Politik und Geld und Verfassung und Titel und Militär und Prozesse. Statt von dem Gesicht Gottes und seiner Herrlichkeit, wie es Dienern Christi ziemte.
    Der Geheimrat kam natürlich auch auf den Prinzen Karl Alexander zu sprechen, der jüngst bei dem Fürstbischof zu Gast gewesen. Weißensee kannte den Prinzen auch. Ein scharmanter Herr. Sein Ruf drang von der untern Donau bis an den Neckar. Ein edles Blatt am Zederbaume Württembergs. Der Geheimrat sprach von den finanziellen Schwierigkeiten des Prinzen, er habe ja auch eine Eingabe an die Landschaft gemacht, soviel er wisse, um Erhöhung seiner Apanage. Ja, Weißensee hatte die Eingabe gelesen, der Stil sei ihm bekannt vorgekommen. In der Kanzlei des Prinzen jedenfalls sei das Schriftstück nicht entstanden; jetzt, nachträglich, sei es ihm, als erkenne er in gewissen Wendungen die Manier seines verehrten Freundes, schloß er lächelnd.
    Die Herren saßen bequem in dem lauen Abend, tranken. Aber seitdem die Rede

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