Jud Sueß
Haus, knurrte Verwünschungen, spie aus, ein Kühner klebte wohl einmal ein Pasquill an, aber alles nur nächtlich, heimlich, spähend nach allen Seiten. Denn der Jude hatte überall seine Leibhusaren und Spione, und wer sich gegen ihn verging, konnte unversehens auf dem Neuffen sitzen oder in den Kasematten von Hohenasperg, kreuzweis geschlossen und in ewiger Nacht.
Im »Blauen Bock« aber saßen politisierend, raunzend die Kleinbürger, unter ihnen der Konditor Benz. Er hütete sich wohl, sich ein zweites Mal das Maul zu verbrennen. Aber jetzt war es ja einfach, jetzt brauchte man nur zu sagen: »Ja, ja, unterm vorigen Herzog regierte eine Hur«, und jeder ergänzte von selber: »Unterm jetzigen ein Jud.« Und Murren hob sich, und die Gesichter waren verzerrt von Gift und Ohnmacht, und der Konditor Benz saß, und die Schweinsaugen glitzerten über den fetten, schwitzenden Backen.
Es ächzte das Land, wand sich unter dem würgenden Druck. Korn wuchs, Wein wuchs, Gewerbefleiß rührte sich, schuf. Der Herzog lag darauf mit seinem Hof und seinen Soldaten, das Land trug ihn. Zweihundert Städte, zwölfhundert Dörfer, sie seufzten, bluteten. Der Herzog sog an ihnen, sog durch den Juden. Und das Land trug ihn und den Juden.
In den Brüdergemeinden, Konventikeln, Bibelkollegien der Pietisten sammelten sich die Mühseligen und Beladenen. Sie krochen zu Gott wie getretene Hunde, leckten ihm die Füße. Überall im Herzogtum, trotz der scharfen Erlasse und Strafen, traten Erweckte und Erleuchtete auf. In Bietigheim pries der Prädikant Ludwig Bronnquell, ein Jünger Swedenborgs und der Beata Sturmin, der schon als Helfer in Groß-Bottwar wegen seiner Ideen über das Tausendjährige Reich und dieBekehrung der Juden einen Verweis vom Konsistorium bekommen hatte, den Süß als willkommene Geißel. Wenn man einen Hund den ganzen Tag schlage, predigte er, so gehe er durch und suche einen andern Herrn. Die gemeinen Leute seien solcher Hund. Der Herzog schlägt auf sie hinein, die Soldaten schlagen auf sie hinein, die Amtmänner, die Offiziere schlagen auf sie hinein, der vornehmste Stock aber sei der Jude Süß. Das stehen sie nicht aus, gehen also durch und suchen einen andern Herrn: Christum. Der Prädikant wurde zwar entlassen und irrte in dickem Elend in Deutschland herum. Aber seine Lehrmeinung blieb, und in ihren Versammlungen dankten die Pietisten Gott für den Juden, für die Peitsche, mit der er sie zu sich trieb.
Die Demoiselle Magdalen Sibylle Weißenseein war in Hirsau zurückgeblieben, als ihr Vater nach Stuttgart übersiedelte. Seitdem sie im Wald den Teufel gesehen hatte, konnte sie nicht mehr los von diesem Gesicht. Sie fühlte sich berufen, mit dem Teufel zu kämpfen, ihn zu Gott herüberzuziehen. Sehnsucht, aus Kitzel und Grauen gemischt, trieb sie immer wieder in den Wald, aber sie begegnete dem Teufel kein zweites Mal.
Seltsam war, daß sie von dieser Begegnung den Brüdern und Schwestern im Bibelkollegium nicht sprechen konnte. Selbst der Beata Sturmin, der Führerin, der Erweckten, der Blinden, Heiligen, hielt sie dieses Gesicht geheim. Es war ihr vorbehalten, ihre Aufgabe, ihr Beruf, mit dem Teufel zu kämpfen. Seine Augen wurden noch fressender, gewölbter, feuriger in ihrem Erinnern, sein Mund stand noch röter, lüsterner, gefährlicher in dem sehr weißen Gesicht. Luzifer war schön, dies war seine stärkste Kraft und Lockung. Ihn an der Hand zu nehmen, nicht loszulassen, zu Gott zu führen, das mußte ein Triumph sein, in dem man verging. Man mußte die Augen schließen, so wohlig war es, sich solchen Sieg auszumalen.
Die armen Brüder und Schwestern indes im Bibelkollegium sprachen von den kleinen Sendlingen des Beelzebub, von dem Herzog und dem Juden. Magdalen Sibylle hörte fastmitleidig zu. Ein Jud, ein katholischer Herzog, was waren das für winzige, harmlose Teufelchen gegen den wahren und wahrhaftigen Satan, den sie geschaut hatte, den sie zu bestehen haben wird.
Auch der Magister Jaakob Polykarp Schober hatte sein Geheimnis. Den Brüdern und Schwestern des Kollegiums sogar, die schlicht vor sich hin lebten und keine scharfen Beobachter waren, fiel der heilige Glanz auf, den das sanfte, etwas pausbäckige Gesicht des jungen Menschen aussonnte, wenn man die frommen Lieder vom Himmlischen Jerusalem sang. Er sah dann vor dem weißen Haus mit den Blumenterrassen das Mädchen im Zelt, sich dehnend und verträumt, nach fremder Sitte gekleidet, mattweißes Gesicht unter blauschwarzem Haar. Er
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