Jud Sueß
war noch mehrmals schüchtern und in Herzensangst über den Zaun gedrungen, er hatte auch ein zweites Mal das Mädchen gesehen, aber das war an einem kahlen, widrigen Herbsttag gewesen, sie war dunkel gekleidet, und ihr Bild verfahlte vor jenem ersten, viel seltsameren, prall besonnten. Dann später einmal hatte ihn die Stuttgarter Brüdergemeinde veranlaßt, sich um die herzogliche Bibliothekarstelle zu bewerben, aber das war daran gescheitert, daß er das Geld nicht hatte, das von dem Gratialamt für die Stelle gefordert wurde. Und er war im Grund sehr froh darüber, denn so konnte er in Hirsau bleiben und um den Wald und das weiße Haus herumträumen.
Es stellte sich aber zwischen ihm und Magdalen Sibylle im Kollegium eine merkwürdige innigere Verbindung her. Die Brüder und Schwestern seufzten demütig und dankbar von den schweren, seligen Zeiten der Not und der Erweckung, von dem grauslichen Juden, den der Herr über das Herzogtum gesandt hatte, und der Magister sah das himmlische Mädchen, und Magdalen Sibylle sah den Luzifer, und ihre Träume woben über alle und gingen durch ihre einfältigen Gesänge und verschlangen alle miteinander und erfüllten den kahlen, nüchternen, niederen Raum.Die Schimmelstute Assjadah, zu deutsch Die Morgenländische, gewöhnte sich rasch an die milde schwäbische Luft; aber sie mochte die Schwaben nicht, ihre Hände nicht, ihr Enges, Muffiges, Unweites, Verquertes nicht. Sie war in Jemen geboren, mit einer Tributzahlung in die Ställe des Kalifen gekommen, von einem Untersäckelmeister an den Levantiner Daniele Foa verhandelt worden, der wieder hatte sie an seinen Geschäftsfreund, den Süß, verkauft. Süß pflegte das Tier sorglich, denn es war sein Eigentum, und er machte gute Figur darauf. Aber er liebte es nicht. Er wußte damals noch nicht, daß in allem Lebendigen etwas von ihm selber war, er ahnte es dumpf und unbehaglich, wenn Rabbi Gabriel zu ihm sprach, es rann ihm lieblich durchs Blut, wenn er bei Naemi war. Aber waren diese kurzen Stunden vorbei, versank es ihm, und er wußte es nicht.
Doch die Schimmelstute Assjadah wußte es. Sie kannte den Schritt ihres Herrn, seine Hand, seinen Schenkel, seinen Dunst. Sie dachte, während sie unter ihm leicht und ziervoll hinschritt: Er mag mich nicht. Aber er ist schön zu tragen. Man spürt ihn gar nicht. Er ist wie ein Stück von mir selber. Er hebt und senkt sich mit meinem Atem und meinen Muskeln. Wenn mich die anderen ansehen, ist mir eng, und ich gehöre nicht zu ihnen. Aber er ist ein Stück von mir. Sein Aug ist weit, und ich möchte rennen und fliegen, wenn er mich ansieht. Wenn seine Hand an meine Haut klopft, bin ich sicherer und voll Ruhe und Kraft. Ich gehöre zu ihm, und ich bin in meinem rechten Land, wenn ich bei ihm bin. Und sie reckte den Kopf hoch auf, und sie wieherte hell und triumphierend den aufhorchenden Bürgern zu: Aufgepaßt! Er kommt! Er!
Denn Süß trug jetzt seine Macht offen und in aller Sonne vor sich her und zeigte kokett und prahlerisch seine Meisterschaft in den Künsten des Hofs und der Gesellschaft. Nur eine von den Vergnügungen des Kavaliers haßte er: die modische Treibjagd. Es schien ihm unsäglich albern und widerwärtig, Tiere auf einen Haufen zu treiben und dann die wehrlosen, hin und her gescheuchten niederzuschießen. Sah er diehochgeschichteten Kadaver, so stieg ihm Übelkeit den Magen hinauf, er konnte sich, sosehr er den groben Spott des Hofes scheute, nicht überwinden, von dem Aas der erlegten Tiere zu essen. Die Tötung der Ochsen, Kälber, Schafe, Schweine überließ man den Metzgern; es war ein ehrbarer, nützlicher Beruf, immerhin drängte man sich nicht des Pläsiers wegen dazu und hielt diejenigen, die ihn ausübten, nicht für Kavaliere. Der Jude begriff durchaus nicht, daß die Tötung eines Kalbes kleinbürgerliches Metier, die zusammengetriebener Rehe ritterliches Vergnügen war.
Sonst aber hielt er darauf, das Zentrum der höfischen Veranstaltungen zu sein. Kein Fremder von Stand kam nach Stuttgart, der nicht dem allmächtigen Günstling seine Aufwartung gemacht hätte. Er vermehrte seine Dienerschaft, daß seine Leibhusaren in ihrer weinroten Livree schier eine kleine Kompanie bildeten. Die Minister und hohen Beamten hielt er in knechtischer Unterwürfigkeit. Sie fürchteten ihn fast mehr als den Herzog; pfiff er, so kamen sie in vollem Sprung daher. Beim leisesten Widerspruch drohte er mit Kreuzweisschließenlassen, Auspeitschen, Untermgalgenbegraben.
Süß
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