Judasbrut
Zeigefinger.
Jetzt
lachte Maria laut. »Ah, das verstehe ich. Übrigens – ich
bin Maria.«
»Oh.«
Die junge Frau war sichtlich überrascht, so schnell und unkonventionell das
›Du‹ angeboten zu bekommen. »Michelle.«
»Bleibst
du eigentlich während deines ganzen Praxissemesters hier in Erlangen?«
»Erst
mal ist bis Ende Mai vorgesehen.«
»Aha«,
sagte Maria. »Gut. Gleich gehen wir noch durchs Haus, damit ich dir alles
zeigen kann. Vorher beschäftigen wir uns mit der mittelfränkischen Geografie – nicht,
dass du am Ende noch glaubst, die Alpen lägen vor der Haustür, nur weil jemand
von der Fränkischen Schweiz redet.«
Michelle
verdrehte die Augen. »Geografie war noch nie meine Stärke. Wozu gibt es ein
Navi oder eine App fürs Handy?«
»Das
wirst du wohl brauchen. Sieh mal unseren Zuständigkeitsbereich.« Maria stand
auf und deutete auf die Landkarte, die an der Wand hing. »Das Erlanger
Stadtgebiet und der gesamte Landkreis Erlangen-Höchstadt«, sie beschrieb ein
Oval, »von Wachenroth und Vestenbergsgreuth im Nord-Westen bis nach Eckental,
Heroldsberg und den Erlenstegener Forst im Süd-Osten. Ungefähr 50 Kilometer in der Breite und
rund 30 Kilometer
in der Länge. Ich schätze, das Gebiet hat – im Vergleich
zu Köln – weniger als ein Viertel der Einwohner, aber es ist größer und wir
haben weniger Personal.«
»Und
weniger Tote«, unkte Michelle.
»Was ja
nicht unbedingt von Nachteil ist«, erwiderte Maria. Anschließend referierte sie
noch über die umliegenden Landkreise und die diversen Zuständigkeiten anderer
Polizeiinspektionen. Schließlich schob sie Michelle aus dem Büro und berichtete
ihr dabei von der Leiche in der Regnitz und dem Mordversuch an Dr. Leonhard
Eichmüller, denn an beiden Fällen würden sie gemeinsam arbeiten. Manchmal waren
erste Arbeitstage doch nicht so unangenehm.
Universitätsklinikum
Erlangen, Medizinische Klinik 2
An der Tür des Krankenzimmers
ließ Maria Ammon ihre Hand einen Augenblick auf der Klinke ruhen: »Also,
Michelle, du musst nicht wie ein Ölgötze daneben stehen. Beteilige dich ruhig
am Gespräch – und mach dir am besten Notizen.«
Michelle
biss sich auf die Unterlippe und nickte, während Maria anklopfte und die Tür
öffnete. Das Krankenzimmer war ein Einzelzimmer, in dem ein großer Strauß roter
Rosen auf dem Tisch stand. Der wohlbeleibte Mann im Krankenbett wandte den
Kopf.
»Ja?«
»Dr.
Eichmüller? Grüß Gott, ich bin Maria Ammon vom K1 und das ist meine Kollegin
Michelle Schmitz.« Maria wedelte mit ihrem Dienstausweis. »Ihr Arzt hatte keine
Einwände, Sie zu fragen, ob Sie möglicherweise heute ausführlicher mit uns über
den Vorfall gestern sprechen könnten.« Sie bot Dr. Eichmüller ihre Hand.
Er
drückte sie und begrüßte auch Michelle, deren Hand er länger festhielt als
nötig. »Ein wahrlich angenehmerer Anblick als die Herrschaften gestern.«
Obwohl
Dr. Eichmüller gesundheitlich in mäßiger Verfassung sein musste, sah er
lediglich ein wenig blass und müde, aber nicht krank aus. Seine gleichmäßig
dunklen Haare waren mit Sicherheit gefärbt, denn er hatte die fünfzig schon
deutlich überschritten. Sein bordeauxfarbener Seidenpyjama unterstrich
hervorragend den Teint seiner Haut und betonte den Gegensatz zu seinen hellen
Augen.
»Also,
was kann ich für Sie tun?«, erkundigte sich Eichmüller höflich. »Ich habe Ihrem
Kollegen, wie hieß er noch gleich, Holzapfel?, gestern bereits einiges erzählt.
Muss ich das etwa noch einmal wiederholen?«
Maria
lächelte bemüht trotz des andeutungsweise unhöflichen Untertons. »Ja, bitte.«
Eichmüller
lächelte ebenso zurück. »Also haben die Segnungen der modernen Technik bei der
Polizei immer noch nicht Einzug gehalten. E-Mail zum Beispiel.« Er seufzte
übertrieben. »Hat Ihr werter Kollege Ihnen denn noch keinen Bericht geschickt?«
Maria
zog sich einen Stuhl heran. »Sogar die Polizei verfügt inzwischen über solch
ungewöhnliche Kommunikationsmittel wie Telefon oder Computer. Hauptkommissar
Holzapfel vom Kriminaldauerdienst hat mich über alles informiert.« Sie
tippte auf die Aktenmappe, die sie dabei hatte. »Es wurde Haftbefehl gegen Ihre
Frau erlassen und einen vorläufigen Bericht der Spurensicherung habe ich
ebenfalls. Da ich nun den Fall übernehme, möchte ich mir gern ein eigenes Bild
machen – ich nehme an, auch Sie verlassen sich bei Ihren Forschungen nicht
ausschließlich darauf, was andere Ihnen zutragen.« Sie gab sich
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