Judasbrut
verschwunden? Jemand, der kopflos handelte, kam immer recht
bald zur Besinnung. Vielleicht brauchte sie einfach noch ein paar Tage.
Energisch schob Maria ihre Überlegungen beiseite, um sich wieder dem Text am
Computer zu widmen, als ein Klopfen am Türrahmen sie zusammenfahren ließ. Ein
uniformierter Beamter lehnte daran.
»Jens!
Hast du mich erschreckt!«
»Du
hast ausgesehen, als wolltest du in den Bildschirm kriechen.« Jens ließ sich
auf dem Stuhl am Schreibtisch gegenüber fallen.
»Das
wirkt nur so«, erwiderte Maria sarkastisch. »Eigentlich war ich gerade mit
meinen Gedanken ganz woanders.«
»Eichmüller?«
Maria
nickte. »Ihr habt auch noch nichts Neues, oder?«
Jens
hob bedauernd die Hände. »Nein. Später bin ich auf Streife in der Nachbarschaft
der Eichmüllers unterwegs. Hältst du es tatsächlich für möglich, dass die Frau
da auftaucht?«
»Ich
kenne sie nicht, aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass sie das tun
würde. Nein … nein, sie kommt nicht dahin.«
Jens
hob die Brauen. »Was hast du genommen? Bewusstseinserweiternde Drogen?«
»Schmarrn – ich
hab heute früh das Pendel befragt.« Bedeutungsvoll wies sie erst auf ihre roten
Haare, anschließend auf eine Kette aus knallbunten Glasperlen, die an einer
Ecke ihres Bildschirms hing. Franzi hatte ihr die vor Jahren als Glücksbringer
gebastelt.
»Ach
so«, erwiderte Jens trocken. »Und den Drudenfuß hast du mit Tipp-Ex auf ein
weißes Blatt gemalt – damit ihn niemand bemerkt.«
Maria
zog die Nase kraus, lehnte sich zurück und streckte ihre Beine aus. »Sara
Eichmüller hat gleich, nachdem sie das Haus verlassen hat, Geld von mehreren
Konten abgehoben. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Wir haben auch keine
Spur von ihrem Auto. Ich schätze, das finden wir erst in ein paar Monaten per
Zufall, weil Anwohnern auffällt, dass da eins ewig lange geparkt steht, wo es
eigentlich nicht hingehört. Oder sie ist überhaupt nicht mehr in der Gegend.
Vielleicht in Tschechien – was weiß ich. Jedenfalls muss sie sehr zielstrebig gehandelt
haben, nicht planlos und unüberlegt. Es würde nicht passen, wenn sie plötzlich
irgendwo auftaucht, wo wir sie erwarten. Vielleicht später, wenn sie sich
sicherer fühlt.«
»Klingt
alles nicht nach impulsiver Handlungsweise.« Jens schnappte sich einen
Kugelschreiber, der auf dem Schreibtisch lag.
»Eher
nach Sinn und Verstand«, stimmte Maria zu. »Ich weiß noch nicht, wie das mit
der Tat als solches zusammengeht – denn
laut Eichmüllers Aussage und der seiner Freundin passierte das Ganze eher aus
der Situation heraus.«
»Oder
sie wollte das nur so aussehen lassen. Vielleicht hat jemand sie informiert,
dass ihr Mann Besuch von seiner Freundin hat?«
Maria
nickte. »Möglich. Jedenfalls ist es seltsam, dass sie sich mitten in der Nacht
auf den Rückweg aus der Schweiz gemacht hat. Laut Hotel hatte sie das Zimmer
bis zum nächsten Tag. Sie hat unerwartet mitten in der Nacht ausgecheckt. Der
Hotelangestellte sagte, sie wirkte mitgenommen, als sei irgendetwas geschehen.
Den vorliegenden Daten vom Hotel nach hat sie mit niemandem telefoniert – wobei
es ja ein Dutzend andere Möglichkeiten gibt, eine Nachricht zu bekommen. Wir
haben fast alle Personen aus ihrem näheren Umfeld überprüft – bis
jetzt noch keine heiße Spur.«
»Was
ist mit ihrem Handy?« Die ganze Zeit kritzelte Jens auf der
Schreibtischunterlage herum.
Maria
hob die Brauen. Warum war Jens nervös? »Ausgeschaltet. Auf die Daten vom
Mobilfunkanbieter warten wir noch. Also, wenn du mich fragst, hat Sara
Eichmüller von der Affäre ihres Mannes gewusst. Sie war ja nicht dumm und das
Ganze ging über Monate. Vielleicht ist sie absichtlich früher nach Hause
gekommen. Ob ihr jemand zusätzlich einen Tipp gegeben hat, ist gar nicht mehr
wichtig. Meiner Ansicht nach wollte sie ihn und seine Freundin
erwischen. Ich würde nicht ausschließen, dass sie mit fester Tötungsabsicht
nach Hause kam.«
»Hätte
sie dann nicht vorher Geld abgehoben?«, mutmaßte Jens, während er
begann, den Kugelschreiber zu zerlegen.
Maria
hob den Zeigefinger. »Guter Einwand, Euer Ehren. Spricht also eher für
Spontaneität. Wie auch immer, jedenfalls kam ihr sein Herzanfall wohl gelegen,
meinst du nicht?«
»Hm«,
machte Jens, wobei er ganz darin vertieft schien, den Kugelschreiber wieder
zusammenzusetzen.
Draußen
klirrte es, als sei Porzellan zersprungen. Eine Frau fluchte leise. Eine
Männerstimme bot an, eine Kehrschaufel zu
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