Judasbrut
machen sollte. Er hat gesagt, ich soll
mitkommen und … ich hatte ja keine Ahnung, wo ich war.« Sie schniefte. Maria
hörte mit gerunzelter Stirn zu. »Er brachte mich zu einem Haus. Vielleicht ein
Wochenendhaus oder so. Da war sonst nichts weit und breit, kein Ort, einfach
nichts. Und … ich … Wir unterhielten uns und irgendwann wollte ich gehen und dann … dann … « Nina
vergrub ihr Gesicht an Marias Schulter. Maria lief es kalt den Rücken hinunter.
Sie zwang ihre Stimme zur Ruhe. »Was hat er getan?« Sanft löste sie sich von
ihr und deutete auf Ninas Prellung. »Hat er dich geschlagen?«
Heftig
schüttelte Nina den Kopf. Maria schluckte hart. Ihr Instinkt sagte, dass die
Antwort wahrscheinlich falsch war. Und dass der Mann vielleicht etwas anderes – Schlimmeres – getan hatte. »Hat er … hat er
dich zu irgendetwas gezwungen?«
Nina
hatte die Augen geschlossen und gab ein ersticktes Geräusch von sich.
»Nina!«,
rief Maria energisch. »Sieh mich an! Was ist passiert?«
Nina
reagierte nicht.
»Nina!«
Maria schüttelte ihre Freundin vorsichtig. »Komm schon. Erzähl es mir.«
Nina
sah an Maria vorbei. Ihre Stimme klang belegt. »Er hat mir Schnaps gegeben. Ich … ich
trinke ja sonst nichts … Er hatte die Tür abgeschlossen. Und … «
»Hat er
dich bedroht?«
»Ich … ich
dachte, er würde … und … er … hat … «
»Hat er
dich vergewaltigt?«, hakte Maria diesmal sehr direkt nach.
»Ich
will nicht, dass Jens davon erfährt.« Ninas Stimme war kaum hörbar.
»Warum?«
Maria bemühte sich, ihre Betroffenheit nicht zu zeigen, aber es fiel ihr
deutlich schwerer als im Dienst, die nötige innere Distanz zu wahren.
Nina
stand auf und ging umher. Maria wartete. Sie wusste aus Erfahrung, dass es
Opfern einer Vergewaltigung oft nicht leicht fiel, sich jemandem anzuvertrauen,
dass viele ihre schrecklichen Erlebnisse wochen- oder monatelang mit sich
herumtrugen, bis sie es jemandem erzählten, daher war sie froh, dass Nina jetzt
mit ihr redete. Sie musste behutsam vorgehen.
»Es war
meine Schuld. Ich hätte den Weg nicht allein gehen dürfen«, flüsterte Nina. »Du
kennst doch Jens mit seiner Eifersucht. Er wird das alles nicht verstehen und … mir
vorwerfen, ich hätte … mit Absicht … « Sie fing an zu weinen.
Maria
hatte das Gefühl, losschreien zu müssen. Nina reagierte, wie Maria schon
unzählige Frauen hatte reagieren sehen. Wortlos nahm sie Nina in die Arme,
wiegte sie tröstend hin und her, bis sie sich beruhigt hatte.
»Hey,
sieh mich an«, sagte sie nach einer Weile sanft. Maria strich ihr ganz
vorsichtig die Haare aus der Stirn. »Es war ganz sicher nicht deine Schuld. Hat
er dir sehr weh getan?«
Schniefend
schüttelte Nina den Kopf. »Ich möchte es einfach so schnell wie möglich
vergessen.«
»Versteh
ich.« Maria zögerte, aber die nächste Frage musste sie stellen. »Glaubst du,
dieser Mann könnte das bereits öfter getan haben?«
»Nein!«,
sagte Nina sofort. »Nein … ich weiß nicht … ich glaube nicht. Ich … also … nein.«
»Was
hältst du davon, wenn wir zusammen zu den Kollegen nach Bayreuth fahren?«,
meinte Maria vorsichtig. »Du könntest dir Fotos ansehen oder ihn beschreiben
und Jens würde gar nichts davon erfahren.«
Nina
machte sich von Maria los. »Der Typ kam nicht aus der Gegend.«
»Woher
weißt du das?«
»Er hat
es gesagt.«
»Er
kann viel behaupten.«
»Er war
zu Fuß unterwegs. Er hat eine Wanderung gemacht und einen Rucksack dabei.«
»Das
bedeutet nichts«, erwiderte Maria. »Wie hieß er?«
»Das
ist egal. Es war sowieso nicht sein richtiger Name.«
»Das
mag sein, aber lass uns wenigstens … «
»Nein!«
Nina hatte ihre Hände zu Fäusten geballt. »Ich will das nicht, Maria. Ich hätte
dir das nicht erzählen sollen. Also tu mir einen Gefallen und vergiss es
einfach.« Sie wandte sich zum Weg, um weiter zu laufen.
Leise
fluchend folgte Maria ihr. Natürlich konnte sie Nina und ihre Befürchtungen in
Bezug auf Jens verstehen – einerseits. Andererseits war Jens Polizist, daher konnte Maria
sich nicht vorstellen, dass er wirklich behaupten würde, Nina habe ihn
vorsätzlich betrogen. Schließlich hatte er das Hämatom an der Schläfe und die
Blessuren an ihrer Schulter und Oberschenkeln bemerkt.
»Willst
du nicht lieber zum Arzt?«
Nina
sah stur geradeaus. »Ich bin nicht verletzt. Außerdem habe ich gleich am
Sonntag geduscht, meine Sachen sind alle gewaschen und … es
gibt keine Spuren, falls du das meinst.«
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