Judasbrut
»Wie ist sie
gestorben? Und wo haben Sie sie gefunden?«
Ȇber
die Details darf ich Ihnen momentan keine Auskunft geben«, erwiderte Maria
bestimmt. »Ich weiß, dass ich Sie das schon mehrmals gefragt habe, aber gibt es
noch irgendetwas, dass Sie uns mitteilen können? Etwas, das uns weiterhilft, um
denjenigen zu finden, der ihr das angetan hat?«
Eichmüller
ließ sich viel Zeit mit der Antwort. Schließlich sagte er leise: »Ich hielt es
für Unsinn, doch es könnte sein, dass etwas dran ist an Ihrer Vermutung, also dass
Sara und Meir Cohen ein Verhältnis haben. Vielleicht wollte ich es einfach
nicht wahrhaben, allerdings glaube ich … ich
weiß nicht, wie ich es sagen soll … « Er
wirkte plötzlich sehr unsicher.
»Ganz
langsam und der Reihe nach«, sagte Maria.
Er
massierte sich die Schläfen. »Seitdem Meir nach Deutschland gekommen ist und in
der Praxis arbeitet, hat Sara sich verändert. Sie unternahm viel mit ihm – angeblich, um ihm zu helfen, in Deutschland Fuß zu fassen. Sie lud ihn zu uns
nach Hause ein, zu Feiern und Familienfesten. Dort lernte er letztes Jahr
übrigens Bianca kennen und er mochte sie offenbar, doch Bianca … «
Verstohlen rieb er sich über die Augen. »Wie dem auch sei, er konnte nicht bei
ihr landen. Daraufhin wurde sein Kontakt zu Sara noch enger und selbst in
meinem Beisein sprach er manchmal in seiner Muttersprache mit ihr. Es sollte
wohl unverfänglich wirken, aber man begreift einfach, wenn die Chemie stimmt,
wie man so schön sagt.«
»Woher
kann Ihre Frau hebräisch?«
»Matti
hat es ihr und ihrem Bruder beigebracht. Er legte wert darauf, dass sie ihre
Wurzeln nicht ganz vergessen. Außerdem hat er dafür gesorgt, dass die beiden
ein Schuljahr in Tel Aviv verbrachten. Auch später ist Sara gelegentlich
dorthin geflogen. Deswegen kannte sie Meir, bevor er nach Deutschland kam.« Er
atmete ein paar Mal sehr tief ein.
»Er ist
jünger als Ihre Frau, oder?«
»Ja,
ein paar Jahre. Ich kann nur spekulieren, aber nach allem, was passiert ist,
glaube ich, sie wollen sich gemeinsam an mir rächen. Vielleicht haben sie, weil
sie bei mir keinen Erfolg hatten, Bianca als leichtes Opfer gesehen … mein
Gott!« Seine Stimme versagte. Er entschuldigte und schnäuzte sich, bevor er
sich wieder setzte. »Verzeihung.«
»Kein
Problem«, sagte Maria. »Haben Sie irgendwelche Beweise dafür? Fotos zum
Beispiel. Oder haben Freunde oder Bekannte die beiden zusammen gesehen?«
Betrübt
schüttelte er den Kopf. Plötzlich hielt er inne. »Es könnte sein, dass Meir in
Interlaken gewesen ist. Bei dem Konzert von Elias.«
Maria
runzelte die Stirn. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich
habe nicht viel mit meinem Sohn über die Ereignisse gesprochen, doch er hat mir
am letzten Wochenende erzählt, dass er glaubt, Meir dort gesehen zu haben.«
»Verstehe
ich Sie richtig, Herr Dr. Eichmüller, Sie glauben, Dr. Meir Cohen sei mit Sara
in der Schweiz gewesen und mit ihr zurückgekehrt? Könnte er bei ihr gewesen
sein, als sie morgens heim kam?«
Eichmüller
überlegte eine Weile. Schließlich sagte er: »Ja, das wäre möglich.«
Michelle
hörte auf, an ihrem Bleistift herumzukauen. »Falls er mit Ihrer Frau ein
Verhältnis hatte und zufällig dabei war – also
unten vom Erdgeschoss aus alles mitbekommen hat – kann
ich nachvollziehen, warum er Ihrer Frau geholfen hätte zu verschwinden,
allerdings verstehe ich nicht, wieso er mit ihr zusammen Frau Esser entführt
und ermordet haben soll. So etwas eiskalt durchzuziehen ist eine ganz andere
Hausnummer. Zumal er mit Frau Esser befreundet war, wie er behauptet.«
Eichmüller
lächelte säuerlich. »Danach müssen Sie ihn schon selbst fragen.«
Maria
tippte sich mit ihrem Stift ans Kinn. Michelles Einwurf war durchaus
berechtigt. »Kann vielleicht irgendjemand anders bestätigen, dass Dr. Cohen in
Interlaken war? Jemand vom Chor?«
»Nein,
nicht das ich wüsste.«
Also
musste Maria andere Mittel und Wege finden, um zu überprüfen, ob Cohen
möglicherweise in der Schweiz gewesen war, ebenso wie sein mögliches Verhältnis
zu Sara Eichmüller. Sie ärgerte sich darüber, dass Eichmüller erst jetzt damit
herausrückte. Sie glaubte nämlich nicht, dass Elias es erst jetzt erwähnt hatte,
sondern dass Eichmüller nicht hatte zugeben wollen, dass seine Frau ihm Hörner
aufgesetzt hatte.
Sie
verabschiedeten sich und ließen einen niedergeschlagenen Eichmüller zurück.
Freitag, 22. Mai 2009
KPI Erlangen
»Michelle! Wo bist
Weitere Kostenlose Bücher