Judasbrut
du?«
»Hier!
Was ist?« Bei Marias Tonfall kam Michelle gleich aus der Küche angestürzt.
Maria
grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Setzen!« Sie deutete neben sich. »Cohen war
an besagtem Samstag in Interlaken. Er hatte für eine Nacht ein Zimmer in einem
benachbarten Hotel. Ich habe alle abtelefoniert und ein Hotelier konnte sich
daran erinnern, denn er hat sich darüber gewundert, dass Cohen nicht über Nacht
geblieben ist, sondern beim Nachtportier gegen halb eins ausgecheckt hat. Cohen
war tagsüber mit einer Frau auf dem Zimmer, auf die die Beschreibung von Sara
Eichmüller passt. Sein Notdienst begann erst um acht Uhr morgens – Zeit
genug, um zurückzufahren. Die früheren Patienten wurden von einem anderen Arzt
behandelt, Cohen war erst um zehn Uhr in der Praxis. Vorher gab es keinen
Einsatz für ihn. Dann der Obduktionsbericht. Frau Esser wurde wahrscheinlich
noch am Tag ihres Verschwindens erwürgt. Es gab keine Abwehrverletzungen,
möglicherweise hat sie geschlafen, denn sie hatte eine extrem hohe Dosis
Schmerzmittel im Blut, dazu ein Breitbandantibiotikum namens Doxycyclin. Ihren
Hausarzt hatte sie während der ganzen Zeit nicht aufgesucht, obwohl sie
offensichtlich sehr krank war. Doxycyclin ist verschreibungspflichtig,
Eichmüller war bis Samstags im Krankenhaus, also wer könnte es ihr besorgt
haben?«
»Cohen!«,
gab Michelle brav den gewünschten Tipp, obwohl die Antwort auf der Hand lag.
»Richtig!
Vermutlich ein Privatrezept. Davon, dass er ihr das Medikament gebracht hat,
sagte er bis jetzt nichts.«
»Was er
aber einfach vergessen haben könnte«, warf Michelle ein.
Maria
wiegte den Kopf. »Könnte. Nehmen wir an, er brachte ihr die Medizin und stellte
fest, wie krank sie war. Ein leichtes Ziel, also … «
»… ihm
kommt die Idee, Eichmüller eins auszuwischen.«
»Vielleicht
hat er sich eingeschmeichelt, sie untersucht, getan, als wolle er helfen. Die
DNA-Spuren im Bad sind übrigens nicht von Eichmüller! Der Bericht kam vorhin
auch. Auf dem Handy, das Bianca in der Tasche hatte, waren zwischen Freitag und
Montag vier Anrufe von Cohen. Am Sonntag schrieb sie: ›Lass mich endlich in
Ruhe!‹, und: ›Ich will nicht, dass du kommst!‹.«
»Wow«,
entfuhr es Michelle.
»Und es
kommt noch besser. Er hat geantwortet – mehrfach. Seine letzte SMS am Montag lautete ›Ich komme zu dir‹. Möglicherweise
hat Michelle daraufhin Eichmüller angerufen, doch Cohen und Sara Eichmüller
waren schneller.«
Michelle
hielt Maria die Hand hin, damit sie abklatschte. »Bingo! Und das heißt?«
Maria
schlug mit ihrer Faust in die Handfläche. »Dass heißt, es sind verdammt noch
mal viel zu viele Vermutungen für einen Haftbefehl. Ich rufe am besten Olaf an,
vielleicht kann er was tun.«
»Und
dann nehmen wir Cohen fest?«
Maria
schnappte sich den Telefonhörer. »Wir brauchen unbedingt seine Fingerabdrücke
und eine DNA-Probe. Ich gehe jede Wette ein, dass uns das die nötigen Beweise
liefert.«
Während
Maria mit ihrem Freund telefonierte, las Michelle den Obduktionsbericht noch
einmal. »Granulomatose … Hiliuslymphom … «, murmelte sie. »Wo hab ich
das schon mal gehört?« Sie ging zu ihrem Computer.
Maria
legte gerade auf und rieb sich die Hände. »Olaf hat zwar Bedenken, weil es
lauter Indizien sind, aber er glaubt, es könnte klappen.«
Michelle
nickte flüchtig. »Weißt du, was ich sehr seltsam finde?«
»Nein.
Aber du wirst es mir jetzt sagen.«
»Erinnerst
du dich an die obdachlose Frau, die in der Regnitz ertrunken ist?«
»Ja«,
antwortete Maria langsam.
»Und an
den anderen Obdachlosen im Februar in Nürnberg?«
»Der
nicht in unseren Bereich fiel«, erinnerte Maria sie.
»Jaja,
ich weiß schon. Beide litten an schweren Infektionen mit beginnender oder
ausgeprägter Lungenentzündung. Sie hatten sogenannte granulomatöse Läsionen in
der Lunge und ein Hiliuslymphom.« Sie machte eine Pause und sah Maria
erwartungsvoll an.
»Was
ist das genau?«
»Granulome
sind kleine, knötchenförmige Entzündungen. Als Hiliuslymphom bezeichnet man
vergrößerte Lymphknoten im Bereich der Lunge und Atemwege. Auch bei Bianca
Esser kam beides vor. Den Rest habe ich nicht mehr im Kopf, aber ich glaube,
die Symptome waren ziemlich ähnlich.«
Maria
schwieg eine Weile, bevor sie nachfragte: »Sind solche Symptome normal bei
einem gewöhnlichen Infekt?«
»Ich
weiß es nicht«, sagte Michelle ehrlich. »Klingt jedenfalls ziemlich speziell.«
Maria
nickte. »Überprüf das
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