Judasbrut
Kellereingang
zurücklegten, dachte Maria an ihre erste Tatortbesichtigung mit Leiche. Es war
eine Eifersuchtstat gewesen, bei der ein Mann seine Freundin in deren eigener
Wohnung umgebracht hatte. Erst nach Monaten war die Leiche in einem Schrank
gefunden worden. Maria schauderte es noch heute bei dem Gedanken an den halb
verwesten Körper, die Maden und Fliegen und den beißenden Geruch. Ihr war
anschließend tagelang schlecht gewesen. Sie hoffte für Michelle, dass es hier
nicht so schlimm war. Maria klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und ging
voran. Trotz der aufgestellten Lampen wirkte das Felsgewölbe innen düster und
bedrückend. Hinter einer uralten Holztür, die schief in den Angeln hing, führte
der Raum ein gutes Stück in den Fels hinein. An den Wänden konnte man noch die
Spuren der Werkzeuge erahnen, die ihn einst aus dem Gestein herausgeformt
hatten. Es war feucht und an manchen Stellen gab es mit moderndem Laub bedeckte
Pfützen. Einige Mitarbeiter der Spurensicherung im weißen Overall gingen
drinnen ihrer Arbeit nach. Ab und zu flammte das gleißende Blitzlicht des
Fotoapparates auf.
Ganz
hinten, halb in der Erde und zum Teil mit Laub bedeckt, lag der Körper einer
Frau. Es wirkte, als habe jemand hastig versucht, sie zu verscharren, weil er
nicht die Zeit oder das Werkzeug gehabt hatte, sie vollständig zu begraben.
Sofort
erkannte Maria das Lieblings-T-Shirt, das Bianca Essers Schwester ihr
beschrieben hatte und auch den dunkelblauen Hausanzug. Die dunklen Haare waren
verfilzt und spröde und hatten jeglichen Glanz verloren. Das ehemals hübsche
Gesicht war aufgedunsen, die Haut grünlich verfärbt und an den sichtbaren
Körperöffnungen konnte man noch Spuren der Leichenflüssigkeit erkennen, die
irgendwann ausgetreten war. Ihr verzerrter Mund wirkte, als habe sie ihre
Lippen mit schwarzer Schminke nachgezogen.
Mit
angeekeltem Gesicht bedeckte Michelle den Mundschutz zusätzlich mit einer Hand.
»Das könnte sie sein.« Ihre Stimme klang dumpf.
Maria
selbst atmete flacher als gewöhnlich. Aus Erfahrung wusste sie, dass es nicht
viel brachte, sich gegen den Gestank zu sträuben. Er durchdrang einfach alles,
daher konnte man lediglich versuchen, ihn auszublenden. Nachdem sie sich bei
der Spurensicherung erkundigt hatten, ob es in Ordnung sei, ging sie in die
Hocke, um die Tote oberflächlich zu untersuchen. Auf den ersten Blick konnte
sie keine Verletzungen erkennen, doch als sie einen Blick auf den Hals warf,
entdeckte sie eine schmale Linie, oberhalb derer sie den Eindruck hatte, dass
die Hautverfärbung viel dunkler war, beinahe schwarz. Die Innenwinkel der Augen – rechts
ausgeprägter als links – wiesen ebenfalls eine Schattierung auf, die sich vom Rest des
Gesichts unterschieden.
»Schau
mal!« Maria winkte Michelle zu sich. Widerstrebend kam die junge Frau näher.
»Hier – diese Linie am Hals. Wenn jemand erwürgt wird, kann das Blut
nicht zurückfließen und es bildet sich eine Drosselmarke. Und da an den Augen – siehst
du die Stellen, die dunkler sind als der Rest? Das sind lauter kleine
Einblutungen, die zusammengeflossen sind. Man nennt sie ›konfluierte
Petechien‹, die ein Hinweis auf Erwürgen sein könnten. Letztendlich muss das
natürlich die Obduktion klären.«
»Hmhm«,
murmelte Michelle gepresst. »Ich muss raus.« Und bevor Maria noch etwas sagen
konnte, war sie weg.
Gerade
kam Dörfler herein, ebenfalls mit Mundschutz und Handschuhen bewaffnet. »Das
Mädel sah nicht gut aus. Ist das ihre erste Leiche?«
»Ja,
sie ist erst ein paar Wochen bei uns. War der Gerichtsmediziner schon da?«
Dörfler
nickte. »Er musste gleich wieder weg. Daran, dass sie tot ist, gab es ja leider
keine Zweifel. Glauben Sie, das ist Bianca Esser?«
»Ich
fürchte, ja«, seufzte Maria. »Wie lange liegt sie wohl hier?«
»Drei
bis vier Wochen sagt der Fachmann – ohne
Gewähr natürlich. Wie weit seid ihr eigentlich?« Er meinte die Spurensicherung.
»Fast
fertig. Wir können sie gleich rausbringen.«
»Wunderbar.«
Beherzter als Maria begann Dörfler nun, Bianca zu untersuchen. Er tastete an
ihrem Körper herum. »Na, was haben wir denn da?« Er holte ein Handy aus der
Tasche von Biancas Jacke. Es war ein sehr einfaches Modell, wie es sie in
Supermärkten billig zu kaufen gab.
Maria
betrachtete es von allen Seiten, bevor sie es einschaltete. Das Display blinkte
kurz auf, eine Tonfolge war zu hören, dann wurde alles wieder schwarz.
»Merkwürdig. In ihrer Wohnung haben
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