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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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und losgelöst von den Vorschriften aus Paris.
    Der stolze Bretone sah es bereits vor sich. Die Nachrichten von immer wieder aufflammenden Unruhen nährten seine Hoffnung, dass sich der Landstrich aus dem erzwungenen Verbund lösen würde. Dazu würde er notfalls das Bündnis mit einem anderen Staat eingehen.
    Albert fiel es schwer, sich zurückzuhalten. Am liebsten hätte er schon morgen die Unabhängigkeit verkündet, hätte aber damitallenfalls Gelächter bei Hofe ausgelöst. Er wäre umgehend vom Gouverneur wegen Hochverrats verhaftet und gefoltert wor den. Unter Schmerzen würde er seine Mitverschwörer preisgeben und ihnen an den Galgen folgen.
    Dann wäre alles umsonst gewesen.
    Er setzte sich auf einen Stein und betrachtete den brandroten Abendhimmel.
    Lange wird das Volk in Frankreich nicht mehr stillhalten und die Obrigkeit, die Pfaffen und Adligen zur Rechenschaft ziehen. Das ist unser Tag!
    Ein leises, freundliches Frauenlachen ließ ihn herumfahren. »Du glaubst noch immer daran, dass du zusammen mit deinen Freunden die Bretagne zur alten Größe zurückführen kannst.«
    Albert erkannte seine einstige Gemahlin, die hinter dem Turm hervortrat. »Charlotte?« Er rieb sich die Augen, aber sie verschwand nicht. Das dunkelblaue Kleid, das sie trug, stand ihr gut.
    »Du täuschst dich nicht, Albert«, sagte sie und gesellte sich neben ihn. »Du siehst gut aus. Älter, aber gut.«
    Er betrachtete ihr schlankes Gesicht, sah in die dunkelgrauen Augen. »Du bist nicht einen Tag gealtert«, antwortete er verblüfft. »Zehn Jahre, und du siehst aus wie Anfang dreißig! Wie geht das? Die Zeit ist für dich stehengeblieben!«
    »Die Meerluft, Albert. Salz macht haltbar.« Charlotte lächelte ihn an und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Stirn. »Du hast dich an meinen Rat gehalten und bist hiergeblieben.«
    »Ja. Obwohl du mich verlassen hast.«
    Sie legte die Hände in den Schoß. »Es ging nicht anders, Albert«, lautete ihre Erklärung in einem Tonfall, der ihm klarmachte, dass sie nicht weiter darüber reden würde.
    »Ändern kann ich es nicht mehr. Und du wirst es dir auch nicht noch einmal überlegt haben.«
Es gibt einen anderen Grund,warum sie gekommen ist.
»Du hast verfolgt, was mit unserer Tochter und ihrer Familie in Kerhinet geschehen ist«, sagte er nach einer Weile.
    Sie schlug den Blick nieder. »Das habe ich. Es hat mir das Herz gebrochen, von der Tragödie zu hören. Erst haben die Räuber unseren Enkel, dann die Einwohnerschaft getötet.«
    »Nein. Der Jüngste hat überlebt«, unterbrach Albert sie und freute sich, dass er ihr etwas Gutes mitteilen konnte.
    Charlotte hob die Brauen. »War er nicht als das erste Opfer der Verbrecher genannt worden?«
    »Das dachte ich auch. Aber er sagte mir, es sei ein …«
    »Er war hier?«, rief sie erstaunt. »Albert, du hast Tanguy mit eigenen Augen gesehen?«
    »Nicht nur ich. Meine … Freunde auch. Wir trafen uns an dem Abend, um über … die Ernte zu sprechen, und er platzte herein.« Er lächelte. »Mein Herz freute sich so sehr, ihn zu sehen! Es war ihm natürlich anzumerken, dass ihn der Verlust verändert hat. Sein Gesicht war ernster, schlanker als früher, aber es war in der Seele noch immer unser Enkel.«
    »Wann war das?« Merkwürdigerweise freute sich Charlotte nicht. Sie klang angespannt, ihr Blick lag durchdringend auf ihm und zwang ihn regelrecht zum Sprechen.
    »Vor ungefähr sieben Wochen«, entgegnete er unverzüglich. »Er war hier und fragte nach dir, nach seinem Vater und den Umständen seines Todes. Ich habe es ihm erzählt. Er hatte ein Recht darauf. Nach so vielen Jahren.«
    Sie stieß die Luft aus und sah auf das Dörfchen. Seine knappe Erzählung schien sie sehr zu beschäftigen. »Haben sich Unglücke nach seinem Auftauchen ereignet?«
    Ihre Reaktion ist merkwürdig.
»Unglücke kann man das nicht nennen. In der Nähe ist ein Weiler von einer Bande Marodeuren heimgesucht worden. Wir haben das Feuer in dieser Nacht gesehen. Sie haben die Menschen bestialisch ermordet«, erklärteAlbert. »Das sagt man jedenfalls. Die meisten sind in ihren Hütten verbrannt worden.«
    Sie schnalzte ungehalten mit der Zunge. »Das passt. Leider.«
    Albert runzelte die Stirn.
Wie meint sie das?
»Tanguy wollte dich suchen. Ich habe ihm dummerweise gesagt, dass ich glaube, du seist wieder in deine Heimat zurückgekehrt.«
    »Wohin hast du ihn geschickt?« Charlotte lachte, und es klang wirklich amüsiert. »Du konntest dir doch nie merken, woher

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