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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ich kam. Für dich war alles Balkan.«
    Er grinste. »Beograd. Davon hast du mir mal erzählt. Wie du als Mädchen dort gewesen bist.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du hast unseren Enkel nach Belgrad geschickt, nur weil du dich daran erinnert hast? Weißt du, wie lange er bis dahin unterwegs sein wird und was er alles anrichten könnte?«
    »Was soll er denn anrichten?« Albert zog die Brauen zusammen und setzte sich gerade hin. Er wollte mehr als vage Andeutungen. »Weib …«
    »Ich bin nicht mehr dein Weib«, fiel sie ihm scharf ins Wort.
    »Charlotte«, verbessert er sich milder. »Tanguy möchte wissen, wo seine Wurzeln liegen. Und wenn er unterwegs sein Glück findet, freut es mich umso mehr. Die Brière hat ihm nur Kummer gebracht. Oder weißt du etwas Schlechtes über ihn? Deine Worte sind …«
    »Die Brière«, wiederholte sie nachdenklich, ohne auf seine Frage einzugehen. »Hat sie sich auch geändert?«
    »Nein, sie besteht immer noch aus Schilf, Inseln und Kanälen. Wo warst du, dass du mich solche einfachen Dinge fragst? Aber … neuerdings haben sie Wölfe dort«, berichtete er. »Es gab viel totes Vieh. Zwei Hirten und fünf Wanderer sind von den Graupelzen zerrissen worden. Es werden Jagden zusammengestellt. Überall werden Treiber rekrutiert.«
    »Wölfe in einem Sumpfgebiet? Das ist Unfug.«
    »Das sagte ich auch. Es wird der Riese sein, der das Moor verlassen hat und außerhalb nach Opfern sucht.« Albert betrachtete verstohlen ihr Gesicht, die langen braunen Haare, ihre Figur. Sie hatte ihre Wirkung auf ihn nicht eingebüßt. Selbst nach all den Jahren fühlte er sich noch zu ihr hingezogen. »Nimm es mir nicht übel, dass ich ihn nach Belgrad sandte. Ich dachte wirklich, dass du dort bist.«
    Sie blickte ihn erneut an. »Da werde ich niemals mehr zu finden sein«, erwiderte sie nach kurzem Schweigen. »Ich sollte mich auf den Weg machen und ihn abfangen.« Charlotte erhob sich vom Stein.
    Albert wollte sie nicht so einfach gehen lassen. Er streckte die Hand aus und hielt sie an der Hüfte fest. »Wo warst du? Wo lebst du jetzt? Hast du einen Mann? Wieso interessiert dich …«
    Sie nahm seine Hand und küsste die Knöchel, bevor sie die Finger losließ. »Albert, vergiss, dass du mich gesehen hast. Wir werden uns in diesem Leben nicht mehr begegnen. Ich brauchte nur die Gewissheit, dass Tanguy noch lebt. Die habe ich von dir bekommen. Nun ist es meine Aufgabe, ihn zu finden.«
    Albert öffnete den Mund, um zu widersprechen. Er wollte, dass sie dieses Mal bei ihm blieb und nicht wieder verschwand. Es war, als würden Herz und Verstand in diesem Moment erst begreifen, mit wem er Worte gewechselt hatte. Und dass sie wieder ging. »Charlotte«, brachte er verzweifelt hervor. »Ich habe mich so nach dir gesehnt!«
    Sie gab ihm nochmals einen Kuss auf die Stirn. »Such dir eine junge Frau, die sich um dich kümmert. Deine Sachen müssten dringend gewaschen werden.« Sie ging ein paar Schritte auf Fougeray zu. »Wenn du einen König der Bretagne krönen möchtest, sollte dein Hemd sauberer sein.« Sie hob die Hand zum Gruß und eilte davon.
    Albert sah ihr nach.
    Charlotte!
    Als wäre ein Verschluss in seinem Geist aufgesprungen, der die Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre zurückgehalten hatte, flogen die schönen Bilder aus den entlegensten Winkeln heran und überfielen ihn. Wehmut und Glück kamen gemeinsam zu ihm.
    Er seufzte tief und stand auf, um sie besser sehen zu können.
    Bald hatte sie sich auf der Straße zu weit entfernt. Sie war nur noch ein Punkt, der unvermittelt verschwunden war.
    Albert wusste, dass sie ihr Versprechen halten würde.
In diesem Leben nicht mehr.
     
    ***

KAPITEL VII
     
Spätsommer 1782, Frankreich,
Süd-Bretagne, irgendwo in der Brière (Pays noir)
    Charlotte stakte auf der breiten Barke durch das Moor.
    Sie folgte dem Rauch, der mitten aus dem Niemandsland kam und nach den Aussagen der Bewohner am Rand der Brière mal deutlich und mal kaum am Himmel stand. Die einen beschrieben ihn als bunt, die anderen hatten ihn weiß, wiederum andere in leuchtendem Blau erblickt.
    Unzweifelhaft brannte etwas im Sumpf. Und unzweifelhaft für die Menschen war, dass der Riese etwas damit zu tun hatte.
    Charlotte glaubte jedoch etwas ganz anderes.
    An diesem Abend war die Qualmsäule allerhöchstens zu erahnen. Was auch immer mit Feuer verging, es ließ allmählich nach. Charlotte vertraute mehr auf ihre gute Nase als auf ihre Augen.
    Es kommt mir vor, als sei ich gestern hier

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