Judastöchter
vorneherein auf Elena abgesehen!
Sie kehrte zu ihrem Motorrad zurück, saß auf und fuhr los, kreuz und quer, bis sie die nächste öffentliche Telefonzelle fand.
Von dort setzte sie mit verstellter Stimme und als anonyme Beobachterin ihre Meldung ab: Kind im Eis eingebrochen, von zwei Männern gejagt und von einem dritten mitgenommen. Da sie keine Angaben zum Aussehen machen konnte, hängte sie schnell ein, als der Beamte nachfragen wollte.
Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen das Kabinenglas und sah hinaus zu den Scheinwerfern des vorbeirollenden Verkehrs, der sich in einer endlosen Schlange auf der Straße bewegte.
Wieso musste die Kleine auch unbedingt alleine zurückfahren wollen? Oder war es meine Schuld?
Sia zog die Brauen zusammen. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden, und auf dieses Gefühl konnte sie sich verlassen. In den vielen Jahrhunderten hatte es ihr mehr als einmal das Leben bewahrt.
Sie verließ die Zelle und spähte umher, doch sie erkannte nichts, was ihr Empfinden gerechtfertigt hätte. Beruhigter war sie deswegen nicht.
Sia blickte auf die Uhr. In einer Stunde würde sie als besorgte Tante bei der Polizei anrufen und um Hilfe bei der Suche nach ihrer Nichte bitten.
Das wird nicht einfach.
In den vergangenen Wochen und Monaten hatte sie wegen ihres Halbbruders Marek und dessen ungeheuren Taten als Theresia Sarkowitz
mit der Polizei zu tun gehabt, jetzt musste sie als Jitka von Schwarzhagen wieder vorsprechen.
Das könnte schwierig werden, wenn es um die Familienverhältnisse geht.
Einer intensiven Prüfung hielt ihre neue Identität sicherlich nicht stand.
Ich könnte als Emma auftauchen! Ähnlich genug sehen wir uns.
Sie ging zur Hayabusa, schwang sich auf den Sattel und fuhr durch das einsetzende Schneetreiben durch Leipzig.
Sollte jemand fragen, bin ich ein Fall von Spontanheilung. Blitzschnell dank Mutterinstinkt aus dem Koma erwacht.
Unterwegs setzte sie ihre Sonnenbrille gegen den kalten Wind und die Flocken auf; auf den Helm verzichtete sie wie immer.
Die Hoffnung, dass ihr Handy klingelte und sich Schwester Hildegard meldete, um ihr zu sagen, dass Elena im Krankenhaus aufgetaucht war, erfüllte sich nicht.
Um genau zu sein, war die Hoffnung bereits gestorben.
* * *
2. Februar, Großbritannien,
Nordirland, Omagh, 20.51 Uhr
Mike rannte so schnell, wie er noch niemals zuvor gerannt war.
Meter um Meter näherte er sich den beiden lahmgelegten Transportern; sein langer grauer Mantel klaffte auseinander und zeigte die schusssichere Weste sowie die Achselholster darunter. Die AK -103 hielt er halb im Anschlag. Das zusätzliche Gewicht machte ihm nichts aus, er war dafür trainiert worden. Ein Krieger.
Die Transporter wippten sacht, anscheinend stiegen auf der von ihm abgewandten Seite Leute ein. Die Oenach und der Rí suchten das Weite, anstatt sich dem Gefecht zu stellen.
Mike blieb stehen, wechselte die Magazine, tauschte das Silber gegen Vollmantelgeschosse und feuerte einzelne Salven in die Kotflügel. Die Motorblöcke sollten beschädigt werden, damit die Gegner ihm nicht entkamen. Ihm fiel auf, dass der Schalldämpfer bereits an Wirkung verlor und die Schüsse hörbarer wurden, aber das spielte keine Rolle mehr. Das Schrotgewehr hatte er in seinem Ford gelassen, weil es ihn zu sehr behinderte.
Vereinzelte Passanten brachten sich geduckt in Sicherheit. Sie würden an einen Überfall der IRA oder einer anderen Organisation denken und nicht ahnen, um was es wirklich ging und welche Tragweite sein Handeln hatte.
Blitzschnell rammte Mike wieder den Clip mit den Argentumprojektilen in den Schacht und lud einmal durch, dann stürmte er weiter. Seine Gegner blieben in Deckung und wollten ihn anscheinend rankommen lassen.
Er trat auf die Straße und brachte die fahrenden Autos um ihn herum mit seiner deutlich gezeigten AK dazu, für ihn anzuhalten. Das Quietschen der Bremsen hallte in seinen Ohren, einige Fahrer legten hastig den Rückwärtsgang ein.
Mike rückte vor. Als er ein Bein hinter einem Transporterheck hervorschauen sah, legte er blitzschnell an und jagte eine Kugel in den Oberschenkel.
Das Dumdumgeschoss ließ das Fleisch regelrecht aufplatzen, anstatt nur durch das Gewebe zu dringen. Der Hosenstoff zerriss, eine enorme Menge Blut spritzte gegen die Mauer, und ein Mann schrie jaulend auf. Es roch nach verbranntem Fleisch.
Mike bewegte sich zur Seite, tastete sich im Abstand von etwa zehn Schritt um den hinteren Transporter herum vorwärts.
Er
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