Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
dass er nicht beabsichtigte, in die »Szene« einzusteigen. Anscheinend glaubte man ihm nach wie vor nicht. Das Misstrauen war wohl so groß geworden, dass sie ihn jagen ließen.
    Ich müsste den Fehdehandschuh jetzt erst recht aufheben. Aber ich? Ohne Vorkenntnisse?
Er betrachtete die Sterne, sein Atem stieg als weißes Wölkchen empor.
Ich habe eine andere Aufgabe, und ein Teil davon liegt im Wagen.
    Die Beschattung des Mädchens war einfach gewesen. Er hatte es sich wesentlich problematischer vorgestellt, schon wegen Theresia Sarkowitz. Aber die Vampirin war so sehr mit Emmas Versorgung beschäftigt gewesen, dass sie Elena mehr zutraute, als gut für die Kleine war.
    Eine echte Schrecksekunde hatte es für ihn bereits an seinem zweiten Tag gegeben: Er hatte im Fahrstuhl gestanden, als sich die Türen nochmals öffneten und Sarkowitz hereingekommen war. Eine zierliche, fast kleine Person. Aber er würde nach der Lektüre von Byrnes Aufzeichnungen niemals den Fehler begehen, sie zu unterschätzen.
    Ganz dicht hatten sie nebeneinandergestanden. Wilson hätte ihr ins Ohr flüstern können, ohne sich bewegen zu müssen. Sein Herz hatte schnell geschlagen, verräterisch schnell, doch Sarkowitz war an ihm vorbei hinaus auf den Krankenhausflur getreten, ohne ihn wahrzunehmen oder ihm besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
    Er erinnerte sich mit einem Frösteln an das tiefe Grau ihrer Augen, das einen heftigen Kontrast zum Rot der Haare bildete.
Eisgrau.
Killergrau.
    Wilson pfiff die Melodie von
Que sera
vor sich hin und malte mit der warmen Luft aus seinem Mund dicke, weiße Striche in die Nacht.
    Er hatte Elena verfolgt, als sie mit ihrer Freundin sowie deren Mutter zum Völkerschlachtdenkmal gefahren war, und eigentlich gedacht, dass Sia sofort folgen würde. Anfangs waren zu viele Menschen da gewesen, er hatte nicht zuschlagen können. Dann waren diese beiden Männer aufgetaucht, und unversehens hatte es schnell gehen müssen.
    Das Krankenhaus!
    Wilson fiel ein, was er noch unbedingt erledigen musste. Etwas, das im weitesten Sinne mit Elena zu tun hatte – und auch wieder nicht. Es ging ihm darum, bessere Karten als andere zu haben, und dafür konnte er sorgen. Mirror müsste ihm dabei helfen. Er stand auf, stieg in den Mercedes und startete. Behutsam setzte er zurück; dabei betrachtete er Elena kurz.
    Sie seufzte im Schlaf und drehte den Kopf von links nach rechts. Ihr Gesicht sah entspannt und traumlos aus.
    Das ist vermutlich die einzige Cola, die müde macht anstatt wach.
Er wendete und fuhr auf die Straße in Richtung Berlin.
    * * *

2. Februar, Deutschland,
Sachsen, Leipzig, 22.01 Uhr
    Sia hatte keine Lust, lange zu überlegen, welche Polizeistation für ihr Anliegen zuständig war, sondern fuhr in die Dimitroffstraße, zum Polizeirevier Mitte.
    In ihrer Tasche hatte sie Emmas Ausweis, den sie schnell im Krankenhaus abgeholt hatte. Mit ein paar verschleiernden Kratzern auf dem Foto stellte sie eine fast perfekte Übereinstimmung der Gesichter her; die Ähnlichkeit war ohnehin vorhanden. Den Lieblingsschnappschuss von Elena hatte sie immer dabei, mit dessen Hilfe die Fahndung beginnen sollte.
    Nach wie vor wurde sie auf der Fahrt den Eindruck nicht los, verfolgt zu werden, aber sosehr sie sich anstrengte, es gelang ihr nicht, das Gefühl zu konkretisieren.
    Sia hielt vor dem Polizeigebäude an und bockte die Hayabusa auf. Zu spät fiel ihr ein, dass sie ohne Helm gefahren war – bis vor den Eingang. Sie grinste.
Mutig von mir.
    Sie betrat das Revier und wurde gleich von einem freundlichen, drahtigen Polizisten in Empfang genommen. Nach einer kurzen Schilderung, weswegen sie gekommen war, musste Sia ihn zu einem weiteren freundlichen, tränensackbehangenen Kollegen begleiten, in dessen Arbeitszimmer sie auf einem wackligen Stuhl schilderte, dass ihre Tochter am Völkerschlachtdenkmal Schlittschuh laufen wollte und abhandengekommen sei. Und mittlerweile war aus dem freundlichen ein unwirscher Kollege geworden. Pure Missbilligung.
    »Ich weiß, ich bin eine schlechte Mutter«, schloss sie und dachte anstelle von Mutter Tante.
Oder noch besser Ahnin.
»Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass es so nicht abgesprochen gewesen war.« Sie schob das Foto rüber. »Das ist sie.«
    Während der Polizist, auf dessen Namensschild Kantor stand, über Funk eine Streife zum Denkmal sandte, damit sie sich umsah, warf er ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Die Tränensäcke schienen dunkler geworden zu sein, um die

Weitere Kostenlose Bücher