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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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und gerade lieferte der Fahrer den Beweis, dass es so war und er seinen Wagen beherrschte.
    Sia musste aufpassen, weil an manchen Stellen der Fahrbahn Eis und Schnee lagen.
    Noch ging es schnurgeradeaus, über rote Ampeln und an Straßenbahnen vorbei, die ihnen nachklingelten. Das akustische Zeichen an die Kontrahenten, dass man sie für bescheuert hielt. Sie wedelte wie eine Skifahrerin auf der Hayabusa an langsamen Fahrzeugen vorbei und zwischen ihnen durch.
    Der X6 donnerte hinter ihr her und raste mit konstanten einhundertachtzig Stundenkilometern weniger elegant als das Motorrad, aber genauso sicher und rücksichtslos durch die Straßen; dazu flammten grellblaue Fernlichter auf und machten es ihr unmöglich, lange nach dem Verfolger zu schauen, ohne anhaltend geblendet zu werden.
    Der ist ebenso lebensmüde wie ich.
Sia bog ab und schlitterte um die Kurve, gab Gas und donnerte auf die Abbiegespur in Richtung Anger-Crottendorf.
    Die kalten, blauen Scheinwerfer tauchten hinter ihr auf und strahlten sie an. Der X6 hatte nicht vor, sie entkommen zu lassen.
    Dabei ist er meine Beute und nicht umgekehrt.
Sie plante, den Wagen in den Stünzer Park zu locken und ihn dort außer Gefecht zu setzen. Danach konnte sie sich um den Fahrer kümmern.
    Mit der hohen Geschwindigkeit dauerte es nicht lange, bis das Areal rechts von ihr auftauchte. Sie bog von der Wurzner Straße ab und jagte auf einem schmalen Weg durch die Laubensiedlung auf den Park zu.
    Die Hayabusa nahm es ihr anscheinend übel, runter von der befestigten Straße zu müssen. Sie rutschte und bockte, die angezeigten Stundenkilometer auf dem Tacho nahmen immer weiter ab.
    Jetzt war der X6 im Vorteil. Grell wie nahe Sterne strahlten die Scheinwerfer, Sia hörte das aggressive Dröhnen des Motors.
    Er will mich plattmachen!
Sie lenkte das Motorrad abrupt nach links, durch den Maschendrahtzaun eines Laubengartens. Das Hindernis bedeutete keine Schwierigkeit für die Maschine.
    Ihre Fahrt wurde richtig spannend und eine einzige Herausforderung für ihre Reflexe: Betagte Hollywoodschaukeln, leere und volle Swimmingpools, Pflanzenkübel, kleine Menhire, Kinderrutschen und Bäumchen, Grillstellen, Fahnenmasten, abgedeckte Liegestühle und wieder Bäumchen – die Hindernisse, denen Sia ausweichen musste, nahmen kein Ende.
    Beschissene Idee, vom Weg runterzufahren!
    Der bullig-kraftvolle BMW ließ nicht locker, wie ihr ultrakurze Blicke in den Rückspiegel zeigten. Er folgte der schmalen Spur der Hayabusa wie ein Hai seiner Beute und fräste eine Schneise durch die Parzellen, touchierte Anbauten und pulverisierte pittoresk beflockte Gartenzwerge unter den breiten Reifen. Ein Panzer hätte nicht weniger Zerstörung anrichten können. Ein aufgestellter Swimmingpool zerbarst und spie Wasser samt Eis in alle Richtungen.
    In einigen der vorbeifliegenden Häuschen brannte Licht. Ganz ungestört waren sie nicht bei ihrem Rennen.
    Das wird nichts. So hat er mich noch schneller.
Sia schaffte es, im Sattel zu bleiben und einen Sturz zu verhindern. Dabei suchte sie verzweifelt den Weg, auf den sie zurückkehren konnte, und wenn er noch so verschneit war. Sie wollte sich von der Hayabusa auf keinen Fall trennen. Es war ein sehr gutes Motorrad, das nicht unter dem X6 enden sollte.
    Leider sah es genau danach aus: Der BMW hatte sie eingeholt, eine laute Hupe erklang, dann gab es einen leichten Rempler gegen das Hinterrad.
    Scheiße!
Sia konnte die Hayabusa auf dem Untergrund nicht mehr halten.
    Vor ihr wuchs eine massivere, pastellfarben gestrichene Gartenlaube mit einem schlecht aufgemalten Sangria-Eimer und der bunten
     Aufschrift
Klein Mallorca
in die Höhe. Ein Ausweichen war ihr nicht mehr möglich.
    Innerhalb eines Wimpernschlags hatte sie ihre Windgestalt angenommen, ein Trick der Kinder des Judas, bei dem der Körper einen nichtstofflichen Zustand annahm. Das bedeutete, dass Sia zu einer Art kaum sichtbarem Schimmern wurde, gleich einem Geist, und die Kleider von ihr abfielen.
    Ich kann gar nicht hinschauen!
Sie nutzte den Wind, um nach oben zu steigen, während ihre geliebte Maschine durch die dünne Wand der Laube brach und den gemalten Sangria-Eimer auslöschte.
Das wird das Arschloch mir büßen!
    Der X6 bremste hart, drehte sich dabei einmal um die eigene Achse und pflügte das Beet komplett um. Schnee flog hoch, gefrorene Erde spritzte umher und prasselte viele Meter weiter nieder. Die Wäschespinne ging bei dem Manöver ebenso drauf wie zwei rosafarbene

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