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Judaswiege: Thriller

Judaswiege: Thriller

Titel: Judaswiege: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Berkeley
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aber dafür habe er ja ihn. Jetzt war er nicht mehr da, der ihm alles hatte beibringen wollen, und ihm blieben nur noch die Listen.
    Bei dem Gedanken an das, was er verloren hatte, verging ihm die Lust an dem Spiel mit Tammy, und er stieg aus dem Wagen. Hinter lichten Laubbäumen lag der Eriesee im Halbdunkel eines frühen Abends. Es war kalt, wahrscheinlich waren deshalb so wenige Leute unterwegs, nur ein Jogger mit seinem Hund rannte eine einsame Runde am Strand, etwa hundert Meter entfernt. Nach einem kurzen Blick zu Tammy, die eingesunken auf dem Beifahrersitz saß, lief er zum Strand. Er musste nachdenken, wie er das mit den Listen weitermachen sollte.
    Klar war nur, dass er ihm seinen letzten Willen erfüllen musste, bevor er Tammy nahm. Das hatte er ihm versprochen. »Wenn wir getrennt werden, dann nimm die Listen. Es ist alles genau verzeichnet.« Hellbuoy setzte sich am Ufer in den Sand und warf ein paar herumliegende Steine ins Wasser. Hoffentlich kam er noch. Seit gestern Abend saß er hier von fünf bis um sieben, genau, wie es in der Liste gestanden hatte. Und wenn er heute nicht kam, sollte er den Umschlag öffnen.
    Er betrachtete den See, auf dessen spiegelglatter Oberfläche sich die Abendsonne brach, eine Gruppe Enten trieb mit den Köpfen aufeinander zu, eine schlug mit den Flügeln. Hellbuoy drehte den Umschlag in der Hand. Was, wenn er nicht kam? Dann würde Tammy warten müssen, dachte er wehmütig.
    Während die Sonne erst langsam und dann scheinbar immer schneller hinter dem Horizont verschwand, saß er still und beobachtete die Enten. Um sieben Uhr war das rötliche Abendlicht verschwunden, und er gestand sich ein, dass Jude nicht mehr kommen würde. Nicht heute, nicht morgen, nie mehr. Er warf für ihn einen weiteren Stein ins Wasser und sah zu, wie sich die Kreise konzentrisch ausbreiteten, um schließlich wieder eine pechschwarze Oberfläche zu hinterlassen, die sich erst am Strand kräuselte.
    Hatte ein See Ebbe und Flut? Jude hätte das gewusst. Jude hatte auf alles eine Antwort, er fehlte ihm. Seufzend öffnete er den Umschlag. Zuoberst lag ein Foto, sorgfältig im rechten Winkel mit einer Büroklammer an das karierte Blatt geklemmt: die FBI-Schlampe aus dem Fernsehen. Hellbuoy entfernte das Foto sorgsam und begann, Judes letzte Liste zu lesen. Judas letzter Wille, wie treffend, dachte der Junge.

K APITEL 35
     
    Oktober 2011
    New York City
     
    Pia Lindt goss Champagner in die Gläser auf dem Konferenztisch in Steins altehrwürdiger Kanzlei und warf Adrian einen verstohlenen Blick zu. Er stand lässig auf der anderen Seite des Raums und redete mit Thibault, dessen Stock lebhafter als sonst auf dem Boden zu tanzen schien. Sie lachten über irgendeine gelungene Pointe, und Pia war glücklich darüber, dass es endlich vorbei war. Jeden Moment erwarteten sie Sam und Klara, um auf den Abschluss des Falles anzustoßen.
    Trotz aller Grausamkeiten, die der Mann begangen hatte, mutete es Pia seltsam an, auf den Tod eines Menschen zu trinken. Aber wenn man es genau nahm, stießen sie ja nicht auf sein Ableben an, sondern auf Adrians Neubeginn. Den Neubeginn mit ihr, und sie freute sich wahnsinnig darauf.
    Kurz darauf hörte sie Schritte im Treppenhaus, und sie erreichte die Tür in dem Moment, in dem geklingelt wurde. Erleichtert fiel sie Klara in die Arme. Sie hatten sich seit ihrer Rückkehr aus Omaha nicht mehr gesehen, und sie freute sich aufrichtig, dass der hübschen Ermittlerin nichts Ernsthaftes zugestoßen war. Nach allem, was ihr Klara am Telefon erzählt hatte, war es nicht ungefährlich, ja sogar richtig knapp gewesen, und wenn Sam nicht genau im richtigen Moment aufgetaucht wäre, könnten sie heute keinen Champagner zusammen trinken. Pia verdrückte sogar eine Freudenträne, die ihr Klara mit einem aufmunternden »Na aber« aus dem Gesicht wischte. Sam Burke gab ihr eigentümlich steif die Hand. Klara hatte angedeutet, dass sie früher seine Liebhaberin gewesen war, und sie verstand, warum: Seine Anzüge waren erstklassig, und seine Augen sahen, wenn auch sehr müde, klug und charmant aus.
    Im Konferenzraum herrschte eine ausgelassene Stimmung. Klara und Sam wirkten abgekämpft, aber fröhlich. Nur bei Sam war sie sich nicht ganz sicher. Irgendetwas schien ihn noch zu beschäftigen, er wirkte nicht wie jemand, der den Fall gänzlich abgeschlossen hatte. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Im Fernsehen lief eine Nachrichtensendung; sie wollten sich die Abschlusspressekonferenz

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