Judaswiege: Thriller
anschauen, die für heute Nachmittag anberaumt worden war. In einer kurzen Gesprächspause ergriff Pia die Gelegenheit, Sam danach zu fragen: »Sagen Sie, Sam: Wieso sind Sie eigentlich nicht auf der Pressekonferenz, sondern hier bei uns? Ich meine, wäre das nicht Ihre Show?«
Sam lachte: »Glauben Sie im Ernst, dass sich Marin so etwas entgehen lässt? Nein, meine Liebe. Das ist seine Show.«
Pia zog eine Augenbraue hoch und dachte sich ihren Teil über Politik und Presse, die bereitwillig alle Brocken aufgriff, die ihr von wem auch immer hingeworfen wurden.
»Und ich bin ganz froh drum«, fügte Sam leise hinzu.
»Und was genau wäre der Grund dafür?«, fragte Stein spitz, dem Sams kleiner Seitenhieb und der bittere Unterton nicht entgangen waren.
»Ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache«, bekannte Sam. »Ich kann es nicht begründen, ich kann es nicht erklären, aber meine Finger werden immer noch eiskalt, wenn ich daran denke, dass wir dabei sind, das Kapitel Rascal Hill abzuschließen.«
Stein lächelte: »Das mit dem Bauchgefühl kenne ich nur zu gut, Sam. Bei mir ist es die Nase.« Er tippte gegen seine Ingwerknolle im Gesicht. »Und leider hat sie in den allermeisten Fällen recht.«
»Eben«, bestätigte Sam und deutete auf den Fernseher. »Es geht los.«
Pia parkte ihren Champagnerkelch auf dem Konferenztisch und griff nach der Fernbedienung, um den Ton lauter zu stellen.
»… schalten wir jetzt live zur Pressekonferenz des FBI, bei der Direktor Gil Marin eine Erklärung zum Gopher-Tape-Fall abgibt.«
Das Bild wechselte zu einem Podest mit dem Emblem des FBI, das diesmal allerdings nicht, wie bei Klaras Aufruf, vor einem einfachen blauen Vorhang stand. Marin hatte sich die große Inszenierung aufbauen lassen: vor dem FBI-Gebäude, sodass hinter ihm Mitarbeiter kamen und gingen. Es sollte ihn wohl geschäftig, aktiv, als Leiter aller Aktion inszenieren. Marin sprach ruhig, aber mit übertriebenem Pathos. Klara konnte ihn schon jetzt nicht mehr leiden.
»Im Fall des sogenannten Gopher-Tape-Mörders kann ich Ihnen heute die Ermittlungsergebnisse präsentieren. Der Täter war ein vierunddreißigjähriger Mann aus Omaha, Nebraska.«
Der Fernsehsender blendete ein Bild des Mannes ein, das wahrscheinlich seine Frau dem FBI zur Verfügung gestellt hatte, die es wiederum den Sendern vorab weitergeleitet hatten. Es sah aus wie ein Bewerbungsfoto, und der Mann wirkte so normal, dass er in jedem x-beliebigen Werbespot den Durchschnittsamerikaner hätte geben können: braunrote Haare, ordentlicher Seitenscheitel, ein drahtiger gestutzter Oberlippenbart, ein Buchhaltertyp.
»Sein Name ist Rascal Hill, und wir können ihm die Morde an allen vier Frauen, die auf den Gopher-Tapes zu sehen sind, zweifelsfrei nachweisen. Rascal Hill leistete bei seiner Verhaftung Widerstand und bedrohte eine FBI-Beamtin, sodass dem Leiter der Sonderkommission keine Wahl blieb: Rascal Hill erlag einer Schussverletzung aus Notwehr.«
Marin machte eine Kunstpause, um danach mit betretener Stimme fortzufahren: »Leider habe ich Ihnen, bei aller Genugtuung über die schnelle Aufklärung dieses Falles auch eine schlechte Nachricht zu überbringen: Was das Schicksal von Tammy Walker angeht, müssen wir leider vom Schlimmsten ausgehen, wir haben kaum noch Anlass zu der Hoffnung, sie lebend zu finden. Dennoch werden wir natürlich alles in unserer Macht Stehende …«
Sam Burke nahm Pia die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Monitor aus. Stein beobachtete ihn aus dem Augenwinkel: »Was ist los, Sam?«, fragte er nach ein paar Sekunden in das betretene Schweigen. »Geht Ihnen nun doch auf die Nerven, dass er den ganzen Ruhm einheimst?«
»Überhaupt nicht«, flüsterte Sam. »Ich bin mit Marins Ruhm einverstanden, mir liegt nichts an Öffentlichkeit.«
Er kippte den Rest des Champagners hinunter und bat Pia um Nachschub. »Aber ich werde das Gefühl nicht los«, fügte er leise hinzu, »dass er mit seinen guten Nachrichten etwas voreilig dran ist.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Adrian. »Glauben Sie, dass Sie den falschen Mann erschossen haben?«
»Nein«, antwortete Sam. »Rascal Hill war der Mörder Ihrer Frau, das steht nach den sichergestellten weiteren Videobändern auch ganz zweifelsfrei fest. Nein, ich habe nicht den falschen Mann erschossen.«
»Sondern?«, fragte der alte Anwalt und rümpfte die Knollennase.
»Ich befürchte, dass ich nicht den einzigen Täter erschossen habe. Seit ich den Fundort
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