Judaswiege: Thriller
Spur? Und wenn ja, warum ging sie dann nicht an ihr Handy? Noch einmal wählte er ihre Nummer, erreichte aber nach einem kurzen Klingeln wieder nur die Mailbox. Was war hier los? Mit einem Handzeichen bedeutete er den Männern hinter ihm, stehen zu bleiben. Wenn Wesley keine genaue Peilung von ihrem Telefon bekam, konnte sie ebenso gut hinter der nächsten Ecke auf ihn warten. Oder hatte er etwa doch Tickets für den heutigen Abend gekauft, war dies sein geplanter Fluchtweg? Hatte Sam Klara geradewegs in seine Falle geschickt? Aber nein, woher hätte Rascal Hill wissen sollen, an welchem Tag sie in seinem Versteck aufkreuzten? Das konnte nicht sein.
Dennoch wurde Sam das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht stimmte. Und er spürte tief in seinem Inneren, dass Klara in Gefahr war. Behaupteten nicht Geschwister oft, dass sie spürten, wenn dem anderen etwas zustieß? Warum sollte das nicht auch für Liebende gelten? Und Gott ja, er liebte sie. Ich liebe Klara Swell, gestand er sich ein.
Während Sam seine Waffe zog, schluckte er. Sie bewegten sich jetzt zu dritt durch die einsamen Gänge, über ihnen konnte man ganz leise den Klang von Streichern vernehmen, und der dicke Teppich schluckte ihre Schritte beinah vollständig. Aber er würde die Schritte ihres Gegners ebenso gut dämpfen, dachte Sam grimmig, als er mit einer schnellen Bewegung um die nächste Ecke bog. Sein Blick erfasste den leeren Gang sofort, keine Gefahr. Er hörte den Atem der beiden Polizisten hinter sich, als ihm auf dem roten Teppich ein schwarzes Objekt auffiel. Sam überkam ein schrecklicher Verdacht. Er ließ die Waffe sinken und rannte zu der Stelle, und dort lag, eilig in den Schatten eines Papierkorbs geschoben, eine Pistole.
»Wesley, gib mit die Seriennummer von Klaras Waffe, und keine Fragen bitte.«
Mit zitternden Händen und entgegen jeglicher Regel zur Sicherung von Beweisstücken hielt Sam den matt schimmernden Lauf ins künstliche Licht der Deckenlampen. Als Wesley die ersten vier Ziffern vorgelesen hatte, sackte Sam in sich zusammen. Es handelte sich um Klaras Waffe, und sie hatte keinen Schuss abgegeben. Das ließ nur einen Schluss zu: Rascal Hill hatte Klara in seiner Gewalt.
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Klara stolperte die Betontreppe hinunter, ihre Füße spürten den kalten Steinboden von Kellerräumen, die nicht beheizt wurden, weil sie nur dazu dienten, die schöne Kulisse des Festspielhauses aufrechtzuerhalten. Und obwohl es dafür keinen Grund mehr gab, spürte sie bei jedem Schritt die gewollten Berührungen von Rascal Hill und seinen Atem in ihren Haaren.
Bei dem Gedanken, was er mit Jessica und Theresa gemacht hatte, wurde ihr speiübel. Du musst dich zusammenreißen, Klara, schalt sie sich selbst. Denk nicht an die Judaswiege, denk einfach nur an den nächsten Moment. Seine kräftige Hand an ihrer Schulter und die Pistole im Rücken, dirigierte er sie einen langen Gang hinunter, immer tiefer in die Eingeweide des Gebäudes.
Hör auf damit, Klara. Nur den nächsten Moment. Dann spürte sie plötzlich einen Ruck: Er wollte, dass sie stehen blieb. Mit zitternden Knien befolgte sie seinen Befehl und überlegte fieberhaft, wie sie sich befreien könnte. Aber gegen eine Schusswaffe, die direkt auf ihren Rücken gerichtet war, konnte selbst sie nichts ausrichten. Und die Regisseure sämtlicher Kinofilme, die etwas anderes behaupteten, hätte sie in diesem Moment am liebsten dabeigehabt. Habt ihr gehört? Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was man dagegen tun kann, okay?
Rascal Hill öffnete eine Tür und drückte sie in einen dunklen Raum. Sie hörte, wie hinter ihr eine schwere Eisentür geschlossen wurde. Flackernd und mit einem leisen Surren erwachte eine Neonröhre zum Leben: Der Raum war leer, der lackierte Betonboden glänzte speckig. Sie hörte seinen Atem hinter sich, er ging jetzt schneller. Klara ahnte, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Sam, wo bist du?, fragte sie sich. Aber sie wusste, dass er ihr nicht würde helfen können. Sie hatte sich selbst in diese Lage gebracht, sie war unvorsichtig geworden und hatte sich von einem verdammten Psychopathen reinlegen lassen. Und jetzt stand ein Massenmörder, der sich an den Leiden junger Frauen ergötzte, hinter ihr und flüsterte: »Endlich sind wir alleine.«
Er drängte sich von hinten an sie heran, eine ekelhafte, aggressive Berührung. Sein Becken schob sich ihr in den unteren Rücken, weil er einen Kopf größer war als sie, seine Pistole presste er jetzt gegen ihre
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