Judaswiege: Thriller
es sich um Theresa Warren handelt, sie lässt sich zweifelsfrei anhand des Röntgenbilds identifizieren, das wir von ihrem Zahnarzt besorgt haben. Auch der Todeszeitpunkt passt: Sie ist mindestens seit vier, höchstens seit sechs Monaten tot. Und zweitens: Sie wurde nicht erhängt, die Halsverletzungen sind post mortem entstanden. Und sie wurde gefoltert, und zwar auf besonders grausame Art und Weise.«
»Das wissen wir bereits, Doktor.«
Mike zog die Augenbrauen hoch: »Alles?«
Sam zuckte mit den Achseln und hielt ihm das Handy mit den Fotos hin, das sie den Pathologen absichtlich nicht vorher gezeigt hatten, um sie nicht zu beeinflussen. Der Doktor warf nur einen flüchtigen Blick auf die Bilder.
»Das ist alles?«, fragte er.
Sam nickte.
»Der entscheidende Teil ist auf den Fotos nicht zu sehen.«
Sam merkte auf.
»Die Leiche weist unterschiedlich alte Merkmale von Folterung auf, die teilweise verheilt sind. Sie wurde über einen langen Zeitraum misshandelt, ich schätze, mindestens über zwei bis drei Wochen. In dem vollständigen Bericht finden Sie eine Liste ihrer Verletzungen, sie reichen von einigen harmlosen Hämatomen bis hin zu Stichwunden, die jedoch allesamt nicht tödlich waren.«
»Und woran ist sie gestorben?«, mischte sich Klara ein.
»Hundertprozentig kann ich es erst nach einer genauen Obduktion im Institut sagen, aber meine Vermutung ist: Sie wurde gepfählt.«
»Ge… was?«, fragte Sam ungläubig.
»Sie haben richtig verstanden: gepfählt. Mit einem einfachen Kiefernstamm. Wie im Mittelalter. Der Täter trieb ihr einen spitzen Holzpflock in die Vagina und ließ die Schwerkraft den Rest besorgen. Es dürfte Tage gedauert haben, bis ihr Gewicht und die unausweichlichen kleinen Bewegungen das Holz immer weiter in ihren Körper trieben, bis er schließlich ein lebenswichtiges Organ punktierte oder sie an ihren inneren Verletzungen verblutete. Genaueres auch dazu nach der Obduktion.«
Sam bemerkte erst jetzt, dass Wesley zu ihnen an das Zelt getreten war. Er war bleich wie ein Leichentuch und starrte mit offenem Mund auf die bräunliche Leiche. Kein Wunder, selbst Sam war es bei der Schilderung des Doktors mulmig geworden. Er fummelte die Packung mit Zigaretten aus der Jacketttasche und steckte sich eine an. Obwohl er wusste, dass Wesley nicht rauchte, hielt er ihm die Schachtel hin. Leichen stellten die seltsamsten Dinge mit Menschen an. Wesley winkte ab, aber zu Sams großem Erstaunen griff Klara mit zitternden Fingern nach einer Kippe. Sam gab ihr Feuer, und gemeinsam bliesen sie den Rauch unter das Zeltdach.
»Krass«, formulierte Wesley, schon nicht mehr ganz so blass im Gesicht.
Klara hustete und warf die halb gerauchte Zigarette auf den nassen Waldboden.
»Stimmt«, antwortete Sam, dem auch kein besseres Wort einfiel. »Doc, wir brauchen den Bericht so schnell wie möglich.«
»Wieso glaubt ihr Special Agents eigentlich immer, dass wir das noch nicht wissen? Wo doch jedes Kind seit CSI New York weiß, dass die Pathologen und die Forensiker immer gestern fertig sein sollten …« Er klang nicht verärgert.
Sam antwortete nicht, sondern trieb Klara und Wesley zum Abmarsch: »Hier können wir nichts mehr tun. Lassen wir das örtliche Büro ihre Arbeit machen, und sehen wir zu, dass wir wieder an den Schreibtisch kommen, wo wir hingehören.«
Als sie im Auto zurück Richtung Flughafen saßen, bemerkte Klara: »Wir sind uns einig, dass wir es ab jetzt offiziell mit einem Serientäter zu tun haben, oder nicht?«
Sam nickte: »Kein Zweifel. Und wir haben einiges zu tun, wenn wir zurück sind. Übrigens brauchen wir noch einen Namen, keine Sonderkommission ohne anständige Bezeichnung.«
Einige Minuten herrschte Stille in dem großen Geländewagen, die Stoßdämpfer quietschten auf dem unebenen Waldboden, aber jedes Schlagloch brachte sie näher Richtung Highway.
Wesley, der sich wieder einigermaßen gefangen hatte, spielte in Ermangelung einer Internetverbindung auf seinem Laptop an seinem Smartphone herum.
»Dieses …«, er räusperte sich, »… Pfählen, das ist doch reichlich ungewöhnlich, oder nicht?«
»Die Untertreibung des Tages«, kommentierte Sam. Aber Wesley hatte vermutlich recht. Die meisten Serienmörder hatten einen bestimmten Modus Operandi, eine Methode, einen Fetisch. Seine war vermutlich die Qual, und er hatte sie mittlerweile nach seinen Maßstäben perfektioniert. Vielleicht quälte er irgendwo gerade sein nächstes Opfer, um die Leiche danach in
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