Judith McNaught
Sie
allerdings warnen. Sollten Sie mich jemals anlügen – nur ein einziges Mal –,
dann werde ich Sie auf die Straße werfen.« Er griff nach dem Türknauf und sagte
über die Schulter: »Und noch etwas – Sagen Sie nie mehr 'Ich liebe dich' zu
mir. Ich möchte diese Worte nie mehr von Ihnen hören.«
Ohne ein weiteres Wort oder einen
Blick ging er. Sherry legte den Kopf auf die Knie und ließ ihren Tränen freien Lauf,
aber sie weinte wegen ihrer eigenen Schwäche, als er sie in den Armen gehalten
hatte, und weil sie einen winzigen Moment lang versucht gewesen war, sein
unpassendes, kaltherziges Angebot anzunehmen.
Fünfundfünfzigstes Kapitel
Die volle Tragweite dessen, was sie letzte
Nacht getan hatte, war Sheridan schon lange klar geworden, bevor sie sich am
nächsten Morgen aus dem Bett schleppte und ankleidete. Im hellen Tageslicht
konnte sie die entsetzliche Wahrheit nicht mehr leugnen: Sie hatte ihre Tugend,
ihre Prinzipien und ihre Moral geopfert, und mit dieser Schande würde sie jetzt
bis an ihr Lebensende leben müssen.
Und all das hatte sie nur getan in
dem verzweifelten Wunsch, seine Liebe wiederzuerlangen – wenn er sie jemals
wirklich geliebt hatte –, und wie dankte er ihr ihre Tat? Die
niederschmetternde Antwort auf diese Frage lag unter ihrem Schlafzimmerfenster
– auf dem Seitenrasen, wo alle frühstückten –, und sie konnte sie in allen
demütigenden Einzelheiten sehen: Der Mann, mit dem sie die Nacht verbracht
hatte, frühstückte mit Monica, die sich gewaltig anstrengte, um ihn zu
unterhalten, und er sah so aus, als genieße er es sehr, diesen Morgen
unterhalten zu werden. Als Sheridan ihn von ihrem Fenster aus beobachtete,
lehnte er sich gerade in seinem Stuhl zurück, blickte Monica tief in die Augen,
dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte lauthals über etwas, das sie
ihm erzählte.
Sheridan bestand nur noch aus Scham
und Angst, während er zufriedener und entspannter denn je wirkte. Letzte Nacht
hatte er alles genommen, was sie ihm geben konnte, und ihr dann, um ihre
Demütigung noch größer zu machen, das Angebot ins Gesicht geschleudert, seine
Geliebte zu werden. Heute plauderte er mit einer Frau, die nie so dumm gewesen
wäre, das zu tun, was Sheridan getan hatte ... eine Frau, die seiner
übersteigerten Meinung von sich selbst entsprach, dachte sie bitter. Eine Frau,
der er die Ehe anbieten würde, nicht irgendeine geheime Liaison im Austausch
für ihre Tugend.
All das ging Sheridan durch den
Kopf, während sie am Fenster stand und auf ihn hinunterstarrte. Sie wollte
nicht weinen. Sie wollte sich diese Szene einprägen, sie wollte sich in jedem
einzelnen Moment ihres Lebens daran erinnern können, damit sie niemals wieder
bei dem Gedanken an ihn schwach werden würde. Sie stand ganz still da und
spürte, wie eisige Taubheit ihren Zorn hinwegschwemmte und all ihre zärtlichen
Gefühle für ihn zerstörte. »Bastard!« flüsterte sie laut.
»Darf ich reinkommen?«
Sheridan zuckte
zusammen und wandte sich bei dem Klang von Juliannas Stimme rasch um. »Ja,
natürlich«, erwiderte sie und versuchte ein fröhliches Lächeln, das genauso
gezwungen wirkte, wie ihre Stimme klang.
»Ich habe Sie hier während des
Frühstücks stehen sehen. Möchten Sie, daß ich Ihnen etwas nach oben bringe?«
»Nein, ich bin nicht hungrig, aber
danke, daß Sie an mich gedacht haben.« Sheridan zögerte, da sie wußte, daß ihr
gestriges Verhalten nach dem Pferderennen Stephen gegenüber einer Erklärung
bedurfte, aber bis jetzt war ihr noch keine vernünftige Entschuldigung
eingefallen.
»Ich habe
überlegt, ob Sie gerne von hier wegführen?«
»Weg?«
sagte Sheridan und hoffte, daß man ihr ihren verzweifelten Wunsch, genau das
zu tun, nicht anhörte. »Wir können erst morgen aufbrechen.«
Julianna kam zum Fenster und stellte
sich neben sie. Schweigend blickten sie beide auf die Szene, mit der Sheridan
sich selbst gequält hatte. »Julianna, ich schulde Ihnen eine Erklärung wegen
dem, was gestern passiert ist, als ich dem Earl of Langford mitteilte, ich
hätte die größte Hochachtung vor ihm.«
»Sie brauchen mir nichts zu
erklären«, erwiderte Julianna lächelnd. Bei ihrem Lächeln hatte Sheridan das
Gefühl, sie sei die Siebzehnjährige und nicht ihre bezahlte Gesellschafterin.
»Doch«, beharrte Sheridan. »Ich
weiß, wie sehr Ihre Mutter auf eine Verbindung zwischen Ihnen und Lord
Westmoreland gehofft hat, und ich weiß, daß Sie sich fragen, warum ich – warum
ich
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