Judith McNaught
in die Gesellschaft eingeführt würde.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Nach einer Stunde, als Stephen bereits
vor lauter Ungeduld jeden Einwand gegen seinen Plan vom Tisch fegte, beschloß
Hugh Whitticomb schließlich, als Sherrys Arzt seine professionelle Meinung zu
äußern. »Es tut mir leid, aber ich kann das nicht erlauben«, erklärte er.
»Würden Sie mir bitte Ihre Gründe
erläutern?« fragte Stephen sarkastisch, als der Arzt so tat, als sei damit bereits
alles gesagt.
»Gewiß. Ihre Auffassung, daß der
Gesellschaft Miss Lancasters Unwissen über unser Vorhaben nicht auffallen
wird, weil sie aus Amerika stammt, trifft teilweise zu. Miss Lancaster jedoch
ist zu empfindsam, um nicht sofort zu bemerken, daß ihr gewisse
gesellschaftliche Kenntnisse fehlen, und deshalb wird wahrscheinlich sie
selbst ihre strengste Kritikerin sein. Dadurch wird der extreme Streß, unter
dem sie jetzt bereits steht, noch verstärkt, und das kann ich nicht zulassen. Die
Saison beginnt in ein paar Tagen, und das ist viel zu kurz für sie, um alles zu
lernen, was sie für ein vollständiges Debut wissen müßte, so intelligent sie
auch ist.«
»Selbst wenn das kein
Hinderungsgrund wäre«, fügte Whitney hinzu, »könnten wir sie auf keinen Fall in
dieser kurzen Zeitspanne für die ganze Saison mit Kleidung ausstatten. Man
müßte schon sehr viel Druck auf Madame LaSalle oder eine andere annehmbare
Modistin ausüben, um sie dazu zu bewegen, an einer Garderobe für Miss Lancaster
zu arbeiten, schließlich haben sie schon genug mit der Arbeit für ihre
regulären Kundinnen zu tun.«
Stephen ließ dieses Problem für den
Moment außer acht und wandte sich statt dessen an Whitticomb. »Wir können sie
nicht vor allen verstecken. Dann vermag sie ja keine möglichen Bewerber
kennenzulernen, und außerdem würden die Leute anfangen zu reden und sich
fragen, warum wir sie verstecken wollen. Wichtiger noch, Sherry selbst würde
sich darüber Gedanken machen, und vermutlich daraus die Schlußfolgerung ziehen,
wir schämten uns ihrer.«
»Das hatte ich nicht bedacht«, gab
Whitticomb zu, den diese Möglichkeit zutiefst betrübte.
»Ich schlage einen Kompromiß vor«,
sagte Stephen, der sich fragte, warum sich alle anscheinend nur mit den Problemen
statt mit den Lösungen befaßten. »Wir beschränken ihre gesellschaftlichen
Auftritte auf ein Minimum. Solange einer von uns an ihrer Seite ist, wann immer
sie ein Fest besucht, können wir sie vor zu vielen Fragen abschirmen.«
»Sie können sie nicht vollständig
abschirmen«, behauptete Whitticomb. »Wie wollen Sie denn die Leute darüber
informieren, wer sie ist und wie sie ihr Gedächtnis verloren hat?«
»Wir werden ihnen die Wahrheit
sagen, ohne allerdings zu sehr ins Detail zu gehen. Wir werden sagen, daß sie
einen Unfall gehabt hat, und daß wir uns
zwar alle für ihre Herkunft und ihren Charakter verbürgen, sie aber einfach
eine Zeitlang keine Fragen beantworten kann.«
»Sie wissen doch, wie grausam die
Leute oft sind! Sie könnten ihr ihren Mangel an Wissen als Dummheit auslegen.«
»Dummheit?« spottete Stephen mit
einem rauhen Auflachen. »Wie lange ist es her, seit Sie das letzte Mal auf
einem Debütantinnenball waren und versucht haben, mit einem der Gänschen, die
debütieren, eine vernünftige Unterhaltung zu führen?« Er wartete die Antwort
gar nicht erst ab, sondern fuhr fort: »Ich kann mich noch an mein letztes Mal
erinnern – die Hälfte von ihnen konnte über nichts anderes als die neueste
Mode und das Wetter reden. Und die andere Hälfte lächelte nur affektiert und
errötete. Sherry ist äußerst intelligent, und das wird jeder, der selbst
genügend Verstand besitzt, um ihn an anderen zu erkennen, merken.«
»Ich glaube auch nicht, daß irgend
jemand sie für dumm halten wird«, warf Whitney ein. »Wahrscheinlich finden sie
sie eher wunderbar geheimnisvoll, vor allem die jüngeren Galane.«
»Dann ist es also beschlossen«,
stellte Stephen mit unerbittlicher Endgültigkeit fest, die jede weitere
Diskussion im Keim erstickte. »Whitney, du und Mutter, ihr seht zu, daß sie
angemessen ausgestattet wird. Wir werden sie unter unserer Schirmherrschaft in
die Gesellschaft einführen und dann sicherstellen, daß zumindest einer von uns
immer bei ihr ist. Für den Anfang gehen wir mit ihr in die Oper, wo sie zwar
alle sehen, aber nicht so leicht ansprechen können. Danach ein Konzert und ein
paar Teegesellschaften. Sie sieht so außergewöhnlich aus, daß
Weitere Kostenlose Bücher