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Judith McNaught

Judith McNaught

Titel: Judith McNaught Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Legenden der Liebe
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über ihren Gedächtnisverlust oder die
schlimmen Schmerzen ihrer Verletzung vergossen, aber jetzt weinte sie in
stummer Inbrunst, und plötzlich verlor Stephen die Beherrschung. Er glitt mit
seinem Mund über ihre zitternden Lippen, schmeckte ihre salzige Zartheit, und
zog sie näher zu sich heran. Seine Zunge umspielte sanft ihre Lippen und
drängte sie, sich zu öffnen. Aber statt ihm ihren Mund zu bieten, wie sie es
schon einmal getan hatte, versuchte sie, ihr Gesicht abzuwenden. Er empfand
ihre Zurückweisung wie einen Schlag ins Gesicht und verdoppelte seine
Anstrengungen, damit sie sich ihm ergab. Er küßte sie hungrig und sah im Geiste
vor sich, wie sie ihn noch vor wenigen Minuten angelächelt hatte, wie sie den
Dienstbotenchor in der Küche dirigiert und gestern mit ihm geflirtet hatte: Ich
hoffe, ich hatte soviel Verstand, Sie sehr lange warten zu lassen, bevor ich
Ihren ungalanten Antrag annahm, hatte sie gescherzt. Jetzt wies sie ihn
unerbittlich zurück, und tief im Innern stieß Stephen einen wehmütigen Schrei
aus, eine Klage um den Verlust ihrer Zärtlichkeit, Leidenschaft und Wärme.
Seine Hände glitten in ihre Haare, er hob ihr Gesicht so, daß sie ihn ansehen
mußte, und blickte in verwundete, feindselige silbergraue Augen. »Sherry«,
flüsterte er erstickt, während sein Mund sich ihren Lippen näherte, »küß mich.«
    Sie konnte ihr Gesicht nicht
wegdrehen, also verteidigte sie sich mit steifer, unbeweglicher
Gleichgültigkeit gegen ihn, aber Stephen kämpfte um sie. Er warf all die
sexuelle Erfahrung, die er in zwei Jahrzehnten voller Liebeleien mit dem
anderen Geschlecht erworben hatte, in die Waagschale und durchbrach
unbarmherzig die Abwehr einer unerfahrenen, jungfräulichen Zwanzigjährigen.
Leidenschaftlich hielt er sie an sich gepreßt, und bestürmte und betörte sie
mit seinen Händen, seinem Mund und seiner Stimme. »Da du mich mit deinen
anderen Galanen vergleichen wirst«, flüsterte er, ohne zu merken, daß er damit
alles zunichte machte, was er eigentlich erreichen wollte, »solltest du doch
wenigstens wissen, wen du vergleichst.«
    Und Sherry gab seinen Worten nach,
nicht der Verführung seiner Hände oder seines Mundes. Ein schützender weiblicher
Instinkt warnte sie, sie dürfe ihm nie wieder trauen, sie dürfe nie wieder
zulassen, daß er sie berührte oder küßte, nur dieses eine Mal noch ... nur noch
dieses eine Mal wollte sie sich dem fordernden Mund ergeben, der ihre Lippen in
Besitz genommen hatte ...
    Ihre Lippen öffneten sich
unmerklich, und mit dem Gespür des Jägers wußte Stephen, daß er gewonnen hatte
– mit Zärtlichkeit als einziger Waffe.
    Endlich forderte die Wirklichkeit
wieder ihr Recht. Stephen löste seinen Mund von ihren Lippen und ließ die Arme
sinken. Schwer atmend trat sie einen Schritt zurück. Dann lächelte sie ihn eine
Spur zu strahlend an. »Danke für die Demonstration, Mylord. Ich werde mich
bemühen, Sie gerecht zu bewerten, wenn die Zeit für Vergleiche kommt.«
    Stephen hörte kaum, was sie sagte,
und er versuchte auch nicht, sie aufzuhalten, als sie sich auf dem Absatz herumdrehte
und ihn einfach stehenließ. Er legte seine Hand auf den Fensterrahmen und
starrte blind auf das Alltagsgeschehen vor seinem Haus. »Mistkerl!« flüsterte
er grimmig.
    Sorgfältig darauf bedacht, jedem Dienstboten,
an dem sie vorbeikam, zuzulächeln, damit sie nicht merkten, wie sie sich
fühlte, ging Sherry die Treppe hinauf. Ihre Lippen waren geschwollen und wund
von den ungestümen Küssen, die sie zerstört und ihm nichts bedeutet hatten.
    Sie wollte nach Hause.
    Wie ein Gebet wiederholte sie diesen
Satz bei jedem vorsichtigen Schritt, den sie tat, bis sie endlich die
Sicherheit und Abgeschiedenheit ihres Zimmers erreicht hatte. Dort rollte sie
sich auf dem Bett zusammen, die Knie an die Brust gezogen und die Arme fest
darumgeschlungen. Sie hatte das Ge fühl, in tausend Stücke zu zerbrechen, wenn
sie losließe. Sie preßte ihr Gesicht in die Kissen, um ihr Schluchzen zu unterdrücken.
Sheridan weinte um eine Zukunft, die sie nicht haben, und um eine
Vergangenheit, an die sich nicht erinnern konnte. »Ich will nach Hause«,
schluchzte sie. »Ich will nach Hause. Papa«, weinte sie, »warum brauchst du so
lange, um zu mir zu kommen?«

Sechsundzwanzigstes Kapitel

    Ein wundervolles geschecktes Pferd graste
in der Nähe, und übermütig schwang sich Sherry auf seinen Rücken. Sie ritten im
Mondlicht davon, und der Wind trug ihr Lachen zurück. Das Pferd

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