Judith
Sie wäre ausgeritten, über die Felder galoppiert.
Statt dessen saß sie da und wagte nicht, sich zu rühren, um das Kleid nicht zu zerknittern. Doch das war nicht der wirkliche Grund. Judith war in schwere Gedanken versunken. Heute war ihr Hochzeitstag — ein Tag, vor dem ihr schon seit langem graute. Sie wußte, daß mit diesem Tag ihre Freiheit und die glückliche Zeit ihres Lebens zu Ende ging.
Die Tür flog plötzlich auf, und zwei Mägde kamen ins Zimmer. Ihre Gesichter waren vom Laufen erhitzt, denn sie waren in der Kirche gewesen, um einen Blick auf den Bräutigam zu werfen.
»Herrin, er ist ein schöner Mann«, berichtete Maud aufgeregt. »Er ist groß, hat dunkles Haar, dunkle Augen und Schultern… « Sie streckte die Arme weit aus und seufzte dramatisch. Betrübt betrachtete sie ihre unglückliche Herrin.
»Und er geht so… « Joan straffte sich in den Schultern und machte ein paar weitausgreifende Schritte durch den Raum.
»Ja, er ist ein stolzer Mann«, bestätigte Maud. »So stolz wie alle Montgomerys sind. Sie tun gerade so, als würde ihnen die ganze Welt gehören. «
Judith zeigte nicht einmal die Spur eines Lächelns. Maud brachte Joan mit einer Handbewegung zum Schweigen, als diese den Bericht fortsetzen wollte.
»Meine Herrin«, sagte sie leise, »kann ich etwas für Euch tun? Es ist noch Zeit, bis Ihr zur Kirche aufbrechen müßt. Vielleicht… «
Judith schüttelte den Kopf. »Mir kann jetzt niemand mehr helfen. Geht es meiner Mutter gut? «
»Ja, sie ruht sich noch aus, bevor sie zur Kirche fährt. Es ist ein weiter Weg und ihr Arm… « Maud hielt inne, weil sie ihre junge Herrin nicht noch trauriger machen wollte.
Judith gab sich die Schuld daran, daß ihre Mutter einen gebrochenen Arm hatte. Das wußte auch Maud, und sie wollte sie nicht wieder daran erinnern. Sie hätte sich ohrfeigen mögen, weil sie nicht überlegt hatte, was sie sagte. »Seid Ihr schon bereit? « fragte sie sanft.
»Mein Körper ist bereit. Doch meine Gedanken noch längst nicht. Kümmert ihr beide euch um meine Mutter? «
Die beiden starrten sie verblüfft an. »Aber, Herrin… «
»Ich will allein sein«, fuhr Judith ungeduldig dazwischen. »Wahrscheinlich ist es das letzte Mal, daß ich für mich sein kann. « Ihr Blick wurde abwesend, als sie aus dem Fenster sah.
Joan wollte ihre junge Herrin aus der melancholischen Stimmung reißen, doch Maud hinderte sie daran. Aber Joan begriff Judith nicht. Sie war reich, und heute war ihr Hochzeitstag. Sie wurde mit einem gutaussehenden, jungen Rittersmann vermählt. Warum war sie dann nicht glücklich? Joan schüttelte den Kopf und ließ sich von Maud aus dem Zimmer ziehen.
Seit Wochen waren die Vorbereitungen für die Hochzeit nun schon im Gange. Das Fest würde ihren Vater die Einkünfte eines ganzen Jahres kosten.
Judith wußte das, denn sie führte ihm die Bücher. Mehrere tausend Ellen Stoff waren allein für die mächtigen Baldachine nötig, die die Gäste vor eventuellen Regenschauern schützen sollten. Tausend Schweine, dreihundert Kälber, hundert Ochsen, viertausend Wildbretpasteten, dreihundert Fässer Bier. Und so ging die Liste weiter.
Und das alles für etwas, das sie gar nicht wollte. Eine Hochzeit. Ihre Hochzeit!
Judith war nicht wie andere Mädchen, für die sich alles um Ehe und Liebe drehte. Ihre Mutter hatte ihr nicht eingeredet, daß dies das ganze Glück der Erde sei.
Fehlgeburten und ein Mann, der jede Gelegenheit genutzt hatte, sie zu züchtigen und zu strafen, hatten Helen Revedounes Illusionen zerstört. Ihr einziges Glück war ihr Kind. Für dieses Kind wollte sie wie eine Löwin kämpfen. Sie hatte sich nie gegen die Grobheiten ihres Ehegemahls gewehrt. Doch sie tat alles, um ihre Tochter vor den Gemeinheiten dieses Mannes zu schützen.
Sie forderte, daß Robert Revedoune seine Tochter in ein Kloster gab. Aber es war ihm gleichgültig, was aus Mutter und Kind wurde. Er hatte die Söhne aus seiner ersten Ehe. Ihn interessierte die Frau nicht, die nur Fehlgeburten gehabt hatte und ihm keine Söhne schenken konnte.
»Laß sie zu den Nonnen gehen«, hatte er lachend erklärt. Um seinem Eheweib dann zu beweisen, daß er Forderungen nicht ausstehen konnte, hatte er sie die Treppe hinuntergestoßen.
Obwohl Helen nach diesem Sturz, bei dem sie sich das eine Bein zweimal gebrochen hatte, hinkte, fand sie, daß sich ihr Einsatz gelohnt hatte.
Sie lebte zurückgezogen mit ihrer geliebten Tochter und fühlte sich manchmal wie eine
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