Judith
Witwe, denn Revedoune mied die beiden Frauen wie die Pest.
Es waren glückliche Jahre, in denen Helen ihr Kind für ein Leben als Nonne erzog.
Nun war alles umsonst gewesen. Judith mußte heiraten. Sie mußte sich einem Mann unterordnen. Judith wußte nicht, was es bedeutete, die Frau eines Mannes zu sein.
Sie konnte nicht gut nähen und schon gar nicht stricken. Sie war es nicht gewohnt, brav und still dazusitzen und Diener für sich arbeiten zu lassen. Aber was noch schlimmer war: Unterwürfigkeit und Ergebenheit waren ihr fremd.
Eine verheiratete Frau mußte den Blick gesenkt halten, mußte sic h in allem nach den Wünschen des Mannes richten und dergleichen mehr. Judith war dazu erzogen worden, Befehle zu geben als Äbtissin, als eine Frau, die Männern gleichgestellt war.
Judith hatte vor dem Vater und den Brüdern nie den Blicks gesenkt. Sie hatte sich nicht geduckt, wenn er wütend die Fäuste gegen sie erhob. Zur allergrößten Verwunderung hatte Revedoune das hingenommen. Er schien sich sogar darüber zu amüsieren.
Das Mädchen hatte einen für Frauen ungewöhnlichen Stolz. Ihr Gang war aufrecht und selbstbewußt. Aber kein Mann würde dulden, daß sie über das Verhältnis des Königs zu den Franzosen sprach oder eine eigene Meinung äußerte.
In all den Jahren hatte Helen Revedoune ständig in der Angst gelebt, daß sie ihre Tochter nicht gut genug verstecken und eines Tages ein Mann sie sehen könnte, der dann bei dem Vater um Judiths Hand anhielt. Der Gedanke an eine Trennung war ein Alptraum für sie.
Judith hätte mit zwölf Jahren ins Kloster eintreten müssen, doch Helen wollte ihren einzigen Lebensinhalt nicht hergeben. Nun mußte sie erkennen, daß ihr Egoismus verhängnisvolle Folgen hatte.
Nur wenige Monate blieben Judith, sich auf eine Ehe mit einem ihr fremden Mann vorzubereiten. Sie hatte ihn noch nid gesehen, aber das machte ihr nichts aus.
Judith kannte keine Männer außer ihrem Vater und ihren Brüdern. Es graute ihr vor einem Leben mit einem Mann, der seine Frau nur haßte und sie schlug, der ungebildet war und sich nur seiner Kräfte brüstete. Würde sie in zehn Jahren auch so eingeschüchtert sein wie ihre Mutter?
Judith erhob sich. Der schwere goldene Stoff ihres Gewandes raschelte. Nein, dieser Mann, den sie heiraten mußte, sollte nie erleben, daß sie ihn fürchtete. Sie wollte sich ihre Gefühle nicht anmerken lassen und immer stolz und aufrecht vor ihm stehen
In diesen Minuten, die sie allein in ihrer Kemenate war, ließ Judith jedoch resignierend die Schultern hängen. Sie hatte Angst vor diesem Fremden, auch wenn ihre Mägde so begeistert von ihm erzählt hatten.
Sie hatte oft gehört, wie die Mädchen von ihren Liebsten sprachen, strahlend und glücklich. Gab es wirklich Männer, die zärtlich sein konnten, die Liebe schenkten?
Ich werde abwarten, nahm Judith sich vor. Wenn er zu mir freundlich ist, werde ich es auch sein. Aber sie schwor sich auch, daß sie es nicht hinnehmen würde, wenn dieser Mann sie so behandelte wie ihr Vater ihre Mutter.
»Herrin! « Joan kam aufgeregt ins Zimmer gestürzt. »Sir Raine und Sir Miles sind draußen…! « Als sie den verwunderten Blick von Judith sah, fügte sie hinzu: »Das sind die Brüder Eures künftigen Gatten. Sir Raine möchte Euch vor der Hochzeit sprechen. «
Judith nickte und wartete dann auf den Eintritt der Besucher. Ihr künftiger Gemahl zeigte nicht das geringste Interesse an ihr. Sogar zur Verlobungsfeier hatte er einen Stellvertreter geschickt. Und jetzt kam er wieder nicht selbst, sondern beauftragte seine Brüder.
Sie holte tief Luft und versuchte das Zittern zu ignorieren, das ihren ganzen Körper erfassen wollte. Sie war nervöser als sie sich eingestehen wollte.
Raine und Miles stiegen die Wendeltreppe hinab. Sie waren seit dem vergangenen Abend bei den Revedounes. Gavin hatte sich so lange wie möglich geweigert, an die bevorstehende Hochzeit zu denken.
Auf Raines Forderung hin, daß er seiner Braut einen Besuch abstatten müsse, hatte er erklärt: »Ich werde sie bis ans Ende meines Lebens sehen müssen. Warum soll ich diesen Alptraum jetzt schon erleben? «
Als Miles von der Verlobung zurückkehrte, war es nicht Gavin, sondern Raine gewesen, der ihn über die reiche Erbin ausgefragt hatte. Doch Miles war wie immer schweigsam gewese n . Raine meinte zu spüren, daß er irgend etwas verheimlichte. Nachdem er Judith nun gesehen hatte, wußte er es.
»Warum hast du Gavin nichts gesagt? « fragte
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