Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
das Geburtstags-Telegramm und für Ihren letzten Brief vom 15. 11., der, ungefähr zwei Stunden vor der Verkündung des Urteils des BGH, bei mir ankam, also am Morgen des 21. 11. Zuerst erfahren habe ich die Entscheidung um «12.00 Uhr nachmittags» in den Nachrichten des Hessischen Rundfunks. Als Herr Möller mir um 12. 30 Bescheid sagen ließ und kurz darauf selber kam, wußte ich es ja schon.
Natürlich haben Sie im Prinzip recht, lieber Herr Moor, daß, wer lebt, auch hofft, aber je nachdem wie die Lage ist für einen Menschen, wird diese Hoffnung kleiner sein als das «ewige Licht» in der Kirche, und das ist schon klein genug. Hoffnung als Sparflamme, als Alptraum des Verstandes. Jedoch allein der Menschen wegen schon, die mich noch nicht ganz aufgegeben haben, ist es meine Pflicht, weiter durchzustehen.
So wie anfangs, mit Vertrauen auf Güte, ja Gnade, wird es nicht mehr gehen, das kindliche Vertrauen, das ich anfangs hatte, es ist fort, mußte ja verloren gehen. Ein dummer Junge war ich, zu vergessen, daß Gnade auch ihre Grenzen hat, wahrscheinlich haben muß … Es täte mir leid, wenn Sie jetzt von mir enttäuscht wären. Hoffentlich haben Sie mich nicht für stärker gehalten, alsich bin. Ich bin nichts als ein Kind, das einen Hexenkessel angezündet hat, in dem es nun selber gebraten wird.
Auch werde ich nun das tun, was ich mir fest vorgenommen hatte für den Fall, daß es einen neuen Prozeß und eine Wiederholung mancher Gutachten gäbe. Ich habe nun, da das Urteil aufgehoben ist, ja wieder die Wahl, zwischen verschiedenen Jugendgerichtshilfen, von denen das Jugendamt zweifellos am besten geeignet wäre. Ich werde alles tun, was ich eben kann, um zu verhindern, daß das Jugendamt als Jugendgerichtshilfe fungiert, wenn auch im ersten Prozeß dies Gutachten das objektivste von allen war. Es hat mich zu sehr getroffen, was damals gesagt worden ist. Wie kann man so was nur tun, ein Baby verurteilen praktisch. Da kann ich dann glaube ich nur «Caritas» oder so als Vertretung oder Ersatz erhalten.
Ihr Artikel [in der Zeitschrift
Der Monat
] damals, da hat Prof. Brocher bestimmt recht, der war überaus gut und objektiv. Dadurch allerdings auch ehrlich und schonungslos; wenn ich ihn richtig interpretiert habe, verneinten Sie damals jede Chance für mich. Aber am interessantesten war für mich, wie Sie gefühlsmäßig die «eiskalte Güte» bei mir zu Hause beurteilen konnten, was beinahe unheimlich war. Aber heute weiß ich ja, daß wir, Sie und ich, als Kinder so viel Ähnliches erlebt haben. Sie schrieben mir, wenn Sie beten könnten, würden Sie für mich beten. Ich möchte Ihnen sagen, weil ich noch beten kann, werde ich für Ihren Vater beten …
***
[Vor dem Bundesgerichtshofverfahren erlitt Heinz Möller in Karlsruhe einen frappierenden, zweifellos psychogenen Unfall: Kurz vor dem Termin stürzte er und verletzte sich so schwer, daß er an dem Verfahren nicht teilnehmen konnte. Rolf Bossi hat Jürgen dort allein vertreten.]
Wuppertal, 25. 11. 1969
Lieber Mr. Moor!
Aber natürlich möchte ich, daß Sie das Buch schreiben. Ichglaube, daß es sehr wichtig ist. Ich glaube auch, daß Sie recht haben mit Ihrer, wie Sie sagen, Unbescheidenheit, wenn Sie glauben, daß es ein wenig helfen könnte. Hilfe ist (ich bin da ja nicht der einzige) da sicher sehr nötig, wenn man z. B. daran denkt, daß ich eventuell in eine Heilanstalt kommen könnte. Ich habe da in einer Kirchenzeitung einen Artikel gelesen, wie es da z. T. heute noch zugeht und aussieht. Hoffentlich ändert sich da auch was, denn, ich hörte es hunderte Male: «Heutzutage noch ist das Gefängnis mancher «Heilanstalt» von der Unterbringung her bei weitem vorzuziehen!» Traurig, aber hoffentlich nicht wahr …
***
[Am Anfang des Revisionsprozesses kam es zu einer friedlichen Lösung zwischen mir und Friedhelm Werremeier, Autor des ersten Buchs über den Fall Jürgen Bartsch. In seinem Brief vom 24. November hatte Jürgen geschrieben: «Dafür taucht auf die über 100%ige Gewißheit, daß jedes Urteil, jede Maßnahme, die letztlich getroffen wird, eine in der Länge völlig unbegrenzte Haft bedeuten wird …» Die Operation, die er hier erwähnt, war die von den meisten deutschen Psychiatern mittlerweile völlig diskreditierte stereotaktische Gehirnoperation.]
Duisburg-Hamborn, Januar 1970
… So langsam wird mir, ich sage es Ihnen offen, ein wenig bange, daß
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