Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
entscheiden, was ist es also, einfach ein Rummel, der gemacht und enorm übertrieben wird, oder wird hier eine Kindheit gestohlen, ja eventuell ein junges Leben zerstört? Sehen wir es doch ganz nüchtern: Ein Kind wird aufgrund einer besonderen Fähigkeit auf ein Podest erhoben, zuerst noch nicht einmal ganz freiwillig. Nun ist es ein «Star», (fast) alle Mütter schwärmen, Tausende Autogrammwünsche jeden Tag, in jeder Zeitschrift ist sein Bild, wo es auch hinkommt, wird es bestaunt, manchmal gar fast angebetet … Wenn das alles weit über ein Jahr schon dauert, ist es da verwunderlich, ja seine Schuld, wenn es sich auf einmal vernehmen läßt: «Ich bin zum Showgeschäft gebo-ren!» …?
Darüber lachen sollen wir? Nein, weinen würde eher passen, denn es wäre töricht, anzunehmen, dieser Anspruch wäre so gemeint, wie er sich anhört. Wir wollen doch nicht vergessen, daß ein Kind viel Liebe braucht, sie nicht nur in Form der Eltern braucht, sondern in Form der Achtung der Gleichaltrigen, seiner Kameraden in seiner Schulklasse, seiner besten Freunde. Wird dies alles und noch mehr einem Kind genommen, so wird es sogar dem Kinde selber klar, daß die oberflächliche Zuneigung so vielerMenschen ein zu hoher Preis ist, wenn es ihm dadurch unmöglich wird, sich einfach aufs Fahrrad zu setzen, ein paar Straßen weiter zu fahren, und andere Kinder zu fragen: «Darf ich mitspielen?» Denn eben dies ist vorbei, für immer unmöglich geworden. Wer die Bilder gesehen hat, «Heintje auf dem Flugplatz Düsseldorf von 50 Waisenkindern begrüßt», der weiß es: Wer ist im Grunde schlechter dran, die Waisenkinder oder Heintje? – das ist noch die Frage …
Sentimentale Schwarzmalerei, was ich bis hierhin schrieb? Nun, dann hören Sie vielleicht mal, was ein objektiver Reporter über Heintjes ersten Tag in dieser Klasse schreibt: «Die Jungen der Kantschule begegneten Heintje mit mitleidiger Verachtung. ‹Mamakind›, bemerkte einer, und ein anderer: ‹Der gehört doch in den Kindergarten.› In der allgemeinen Ratlosigkeit schlug der Lehrer vor: ‹Nun singen wir mal was.› Ein Junge rief: ‹Heidschi bumbeidschi!›, die anderen protestierten: ‹Kennen wir nicht! …› Da sagte der Lehrer: ‹Gut, dann – Im schönsten Wiesengrunde›. Aber das Lied kannte Heintje nicht …»
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[Im folgenden Brief schreibt Jürgen von Heintje als «Goldkerlchen»; im ersten Prozeß in Wuppertal berichteten Gerald John und Dietrich Wilke von der Jugendgerichtshilfe, Frau Bartsch hätte Jürgen immer wieder «das Goldkind» und «das goldige Kerlchen» genannt.]
Wuppertal, Juni 1969
Lieber Mr. Moor!
Ja, der Name Ihres Heimatlandes, Texas, geht auf genau den Indianerstamm zurück, den Sie in Ihrem letzten Brief, über den ich mich wieder sehr gefreut habe, erwähnten. Und «Texas» soll der von weißer Zunge entstellte Gruß dieses Stammes sein, wörtlich übersetzbar mit «Guten Tag, lieber Freund». So behauptet es jedenfalls der WDR in seiner sehr bekannten Sendereihe DreiHörer gegen drei Städte: «Allein gegen alle» mit Hans Rosenthal aus Berlin.
Nun bin ich (auf eigenen Antrag) hier in Wuppertal wieder, erst mal vorläufig für zwei Monate. Herr Dr. Hellmert, Nervenarzt (Neurologe), behandelt meine Asthma-Störungen und ein paar Zwangs-Erscheinungen, deren Grund, wie er mir sagte, wahrscheinlich innere seelische Überspannung ist, die sich leider etwas sogar auf den Körper auswirkt.
Sicher, ich «identifiziere» mich ganz instinktiv mit jedem Kind, jedem Jungen, der im Kindes- bzw. Schulalter ist, und dem ganz offensichtlich schwerer seelischer Schaden droht. Warum tue ich das? Ich kann es mir nur so erklären, daß ich, seit die sexuelle Seite weggefallen ist, ganz klar spüre, daß ich eines jedenfalls nicht los bin, nämlich die romantische Zuneigung für dieses Geschlecht in eben diesem Alter. Und daran läßt sich mit dem Willen leider so gut wie nichts ändern. Aber da dieses niemand außer mir selber schaden kann, und da es eben Zuneigung ist … gut, manchmal tut es regelrecht weh, besonders wenn mir recht bewußt wird, daß ich in dieses Alter niemals mehr zurückkann, aber es hat auch seine guten Seiten …
Wie schön: vor einem Jahr hieß es: «Goldkerlchen Heintje durfte seiner Mutter nun das versprochene Schloß («Ich bau Dir ein Schloß») bauen. Es ist ein Backstein-Bungalow mit zehn Zimmern, der Preis wird geheimgehalten …» . (WDR). Ein paar Ponys
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