Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Zauberkünstlerpostkarte: äußerst knapp gekleidete, vollbusige junge Dame auf der Bühne neigt sich tief nach vorne und sagt zum Publikum: «Bitte überzeugen Sie sich, daß ich nichts verborgen habe!»]
Düsseldorf, den Juni 1970
Dear Mr. Paul!
… Mein letzter Brief ist vom Gericht «kopiert» worden, ich weiß wie meist nicht, warum. Vielleicht für die Gutachter.
Jürgen Bartsch134
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[Jürgen schickte den folgenden Brief an den Landgerichtsdirektor des bevorstehenden Revisionsprozesses.]
Betr.: Ihr Schreiben vom Juli 70/Beantwortung Ihrer Anfrage
Düsseldorf, den 1. Aug. 1970
Sehr geehrter Herr LGD Fischer.
Es war im Februar 1967, als Dr. Dr. Bresser mich begutachtete. Ich war zu der Zeit und dem Zweck Gefangener im (noch alten) Klingelpütz in Köln. An sich kamen Dr. Dr. Bresser sowie Prof. Dr. Scheidt (welcher allerdings nur zweimal mitkam) zu mir ins Gefängnis.
Die Explorationen waren so gut wie beendet, als Dr. Dr. Bresser mir mitteilte, er hätte vor, mich in der Universitätsklinik zu Köln zu befragen. Allerdings drückte er sich, ob bewußt oder unbewußt, lasse ich dahingestellt, sehr mißverständlich aus. «Ein paar Leute», so wörtlich, wären dabei, natürlich alles Fachleute. So erklärte ich mich einverstanden. Hätte ich gewußt, daß mich statt der «paar» Fachleute Hunderte von Studenten(-innen) erwarteten, wäre ich, jedenfalls freiwillig, nicht dorthingegangen.
Nachmittags, gegen 15 – 15.30 Uhr, bin ich von drei Gefängnisbeamten in Uniform (ich selber hatte damals noch Gefangenenkleidungan), an einen Beamten mit Handschnellen gefesselt, in einem Zivil-Wagen zur Uni-Klinik gefahren worden. Eine Studentin fing uns gleich am Glastüren-Eingang ab, und lotste uns alle vier bis vor die Tür des großen «Audimax»-Saales. Dr. Dr. Bresser kam heraus, grüßte uns kurz, und man beschloß, zwei bewaffnete Beamte in der Tür stehen zu lassen.
Dr. Bresser trat ans Pult, daneben ein Stuhl, auf dem ich saß, neben mir stehend der Beamte, an den ich gefesselt war. Der Saal war nicht zu groß, aber weit höher, als andere Säle; die Sitzreihen türmten sich im offenen C fast bis hoch zur Decke, und es gab keinen Sitzplatz, der nicht von jungen, teilweise sehr jungen Leuten beiderlei Geschlechts besetzt gewesen wäre. Allein die allervorderste Reihe war anscheinend den älteren Honoratioren vorbehalten; in ihr sah ich nur ältere Gesichter.
Aber auch wo eben man nur noch stehen konnte, stand man. Gut in Erinnerung sind mir zwei Damen in verwaschenen bunten Kitteln und Kopftuch, die mit Eimern in einer Ecke standen, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Fachleute waren.
Dr. Bresser stellte nun seine Fragen an mich. An alle kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber etwa zwei hatten mit dem Zerstückeln der Opfer zu tun. Ich antwortete – allerdings nicht so sehr, weil ich gewollt hätte, sondern weil ich dazu erzogen worden bin. Jemand aus der ersten Reihe fragte, ob die Kinder nicht geschrien hätten, ob sie mir nicht leid getan hätten, und ich sagte, ich fürchtete nein, weil ich der festen Überzeugung gewesen sei, nicht anders handeln zu können, als ich es tat. Damit war bald Schluß, und ich wurde abgeführt. Vor der Tür hörte ich noch, wie Dr. Bresser mit einem Solo-Vortrag begann, aber verstehen konnte ich natürlich nichts.
Hochachtungsvoll Ihr
Jürgen
Bartsch134
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Düsseldorf, den [Lücke] September 1970
… Die Begutachtungen werden noch weiter gehen, noch wenigstens drei andere Fachleute. Bis etwa Ende des Jahres. Ich wünsche mir nur, alles das wäre schon vorbei …
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[Jürgen war darauf hingewiesen worden, über die laufende Begutachtung keine Einzelheiten zu schreiben.]
Köln, den 29. September 1970
… Nun bin ich seit einer Woche in Köln-Ossendorf; diese Anstalt hier ist ganz neu gebaut – die modernste Anstalt, die ich überhaupt je kennengelernt habe. Das Radio kann, wer will, bis 23 Uhr abends laufen lassen (von 6 Uhr morgens an); auf den Spazierhöfen sind runde Blumenbeete und die vielen Einzelhäuser sind bungalowartig flach gebaut, also gar nicht nach Gefängnis aussehend. Ein eigenes «Studio» ist vorhanden, welches abends Schlagerwünsche erfüllt. Der Sprecher ist scheinbar eine Art «Fürsorger» . (die es ja an jeder Anstalt gibt, die aber natürlich nicht alle gleich viel für ihre Leute tun)
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