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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Pater mich mißbraucht hatte, hättet ihr mich nie wieder ins Heim zurückbringen dürfen. Aber das wußtet ihr ja nicht. Mami hätte das Aufklärungsbuch, das ich von Tante Marthea kriegen sollte, nicht in den Ofen werfen dürfen, als ich elf oder zwölf war. Warum habt ihr in zwanzig Jahren nicht ein einziges Mal mit mir gespielt? Aber vielleicht hätte all das anderen Eltern auch passieren können. Für euch war ich wenigstens ein Wunschkind. Wenn ich davon auch zwanzig Jahre nichts gemerkt habe, sondern erst heute, wo es verdammt spät ist.
    ***
    Die «Presseinformationsunterlagen für die Hauptverhandlung in der Strafsache ./​. Bartsch» vom 27.   November 1967 zeigte sich optimistisch: Der Prozeß sollte ursprünglich an dem genannten Tage beginnen, und für die sechste Sitzung, am 2.   Dezember, hieß es «eventuell Urteil». Tatsächlich aber konnte der Prozeß erst am 29.   November anfangen, und erst nach neun langen Sitzungen, die meist schon um 8.30   Uhr anfingen, kam es am 15.   Dezember zum Urteilsspruch.

3  Der erste Prozeß
    Dr.   Bresser stellte die Fragen und ich hatte zu antworten. So blieb, gerade in Sachen «Elternhaus», vieles ungesagt, das zwar niemals nach «draußen» dringen dürfte aus persönlichen Gründen, das aber, um des besseren Verstehens wegen, vertraulich gesagt hätte werden müssen!
    Jürgen Bartsch, Mai 1970
     
    Zur Zeit der ersten Gerichtsverhandlung gegen Jürgen Bartsch las man überall in der Presse von dem «Prozeß des Jahrhunderts». Da muß man staunen über die Kürze des deutschen Gedächtnisses. Zwischen 1918 und 1924 tötete Fritz Haarmann, der «Werwolf von Hannover», aus sexuell-sadistischen Motiven mindestens vierundzwanzig junge Männer; er verging sich an ihnen, zerstückelte sie und verkaufte ihr Fleisch an Gastwirtschaften. Man schätzte die tatsächliche Zahl seiner Opfer auf mindestens einhundertzehn. Haarmann starb am 15.   April 1925 unter dem Fallbeil.
    Aber nicht nur über die Kürze des deutschen Gedächtnisses muß man staunen. Ab 1956 verbrachte ich ein Vierteljahrhundert in Berlin. 1957 entdeckte man im Bundesstaat Wisconsin in meiner Heimat eine Mordserie, die die von Jürgen Bartsch in den Schatten stellt, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Wort darüber gelesen oder gehört zu haben, bis ich meine Recherchen für dieses Buch anstellte. Es handelte sich um den einundfünfzig Jahre alten Farmer Ed Gein, der in der Nähe des Dörfchens Plainfield (647   Einwohner) im Waushara County von Wisconsin wohnte. Die unglaublich scheußliche Geschichte dieses schwerkranken Mannes findet man in zwei Büchern (von Levin und Fox und von Gollmar), die ich im Literaturverzeichnis aufführe.
    Mindestens 931   Erwürgte zählten zu den Opfern eines gewissenBuhram – so wurde beim Prozeß gegen ihn festgestellt – zwischen 1790 und 1840 im Oudh-Gebiet Indiens (im heutigen Bundesstaat Uttar Pradesh). Als Mordwaffe benutzte er ein einfaches gelb-weißes Tuch. Buhram gehörte dem Thugee-Kult («Raubmordloge») an, und man hat damals geschätzt, daß Mitglieder dieses Kults zwischen 1550 und 1853, als die britische Besatzungsmacht ihn verbot, mindestens zwei Millionen Inder erwürgten.
    Männer haben übrigens kein Patent auf Massenmord. Im Verfahren gegen die Amerikanerin Jane Toppan, eine Krankenschwester in Lowell im Bundesstaat Massachusetts, hat das Gericht im Jahre 1902 festgestellt, daß sie mindestens einunddreißig Menschen vergiftete. Von ihr stammt die bemerkenswerte Aussage: «Dies ist mein Ehrgeiz: mehr Menschen, mehr hilflose Menschen getötet zu haben, als jeder andere Mensch je getötet hat.» Gerichtsmedizinische Untersuchungen bestätigten die von ihr eingestandene Vergiftung der einunddreißig Opfer, aber nach der
Encyclopedia of American Crime
reichten Schätzungen der tatsächlichen Zahl ihrer Opfer bis zu vierhundert; nach allgemeiner Meinung waren es etwa einhundert. Jane Toppan starb 1938, einundachtzig Jahre alt, in der staatlichen Heilanstalt Taunton in Massachusetts.
    Den Mord-Rekord der Jane Toppan muß man aber als bescheiden einschätzen, vergleicht man ihn mit den etwa sechshundertfünfzig der ungarischen Gräfin Elisabeth Báthory, die von 1560 bis 1614 lebte. Sie tötete junge Mädchen aus dem Bauernvolk und badete dann in ihrem Blut, anscheinend in der Überzeugung, daß das Baden in Jungfrauenblut das Altern verhindere. Bedienstete suchten ihr die Opfer und brachten sie aufs Schloß, wo die Gräfin sie

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