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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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bessert. Wie gern hätte ich Euch noch einmal gesehen, doch ich bin am Ende! Ich kann nicht mehr! Verzeiht auch Ihr mir bitte, wenn Ihr könnt, und erfüllt mir meinen letzten Wunsch! Ich möchte in der Höhle begraben werden, ich will es nicht besser haben als es die armen Kinder hatten.
    Glaubt es oder glaubt es nicht:
    Ich hatte sie alle gern, ich habe es jedesmal bereut und doch getan!
    Ich habe mich gewehrt, aber
    «Es war stärker»!
    Wer mir verzeihen kann, tue es.
    Ich selbst kann mir nicht verzeihen!
    Nie!!!
    Viele Grüße Jürgen
     
    Am weitesten nach rechts, an einige Gefängnisbeamte:
     
    H.   Hinrichs Herr Fritsch
    Herr Mätzler.
    Ihr wart alle sehr nett zu mir!
    Wäre ich nicht «SO» gewesen, wäre ich eines Tages bei Euch gelandet!
    Und glaubt mir!:
    ein schlechter Beamter wäre ich bestimmt nicht gewesen
     
    Über die Zellentür, an seinen Verteidiger:
     
    Herr Möller!
    Wie in meinem ganzen Leben, so war ich auch hier zu schwach! Ich wäre aber sehr unglücklich, wenn ich ihnen nicht für alles gedankt hätte, was sie für mich getan haben alles, was ich ihnen sagte, stimmt!
    Vielen Dank!
    J.   B.
     
    Unter dem Brief an seine eigenen Eltern, in ein Kästchen gesetzt:
     
    Die Wärter hier u auch in Werden sind alle immer sehr nett gewesen!
     
    Diese Briefe enthalten viel Material zum Nachdenken. Der zweite Brief beginnt mit der bemerkenswerten Zeile «Liebe Eltern (Der Kinder)», aus der mit Wahrscheinlichkeit zu schließen ist, daß Jürgens Unbewußtes den Brief an seine eigenen Eltern richtete, so daß die Zufügung «(Der Kinder)» als nachträgliche Richtigstellung einer schriftlichen Fehlleistung anzusehen wäre. Die erste Zeile des Briefes enthüllt noch mehr: «Ich habe Euch» – nicht «Ihnen» – «das genommen, was Euch auf Erden am liebsten war.» Wenn jeder Selbstmord, wie wir heute wissen, unbewußt gewissermaßen ein verkappter Mord an einem oder mehreren anderen Menschen ist, bis zu welchem Grade waren umgekehrt Jürgen Bartschs Morde verkappte, projizierte Selbstmorde, gerichtet gegen seine eigenen Eltern, die ihn «mit Güte und Liebe» großgezogen hatten?
    Was für «Dummheiten» hätten seine Eltern eigentlich möglicherweise machen können? Woran kann er denn gedacht haben? Und wie mag er auf eine derartige Idee gekommen sein?
     
    Meine Erlebnisse in Wuppertal, die Begegnung mit den beiden Spielarten von Gewalttätigkeit und Sadismus, wie sie im Białystok-Prozeß und im Fall Bartsch in Erscheinung traten, veranlaßten mich, nochmals das Buch
Father Land –
Vater-Land – von Dr. med. Bertram Schaffner zu lesen. Als das Buch 1949 in New York erschien, war es besonders in Deutschland umstritten wegen angeblicher Ressentiments und als Nebenerscheinung der von den siegreichen Alliierten angeordneten «reëducation», aber auch deutsche Psychoanalytiker betrachten es noch heute als gültig. Der Autor, ein in Amerika geborener Psychiater, hat 1946 eine umfassende Untersuchung über die autoritäre Familienstruktur in Deutschland unter Berücksichtigung der Kindererziehung durchgeführt. Viele Abschnitte passen genau zum Fall Bartsch, zum Beispiel: «Der Vater muß für die Ernährung, Kleidung und Erziehung seiner Kinder sorgen; wenn er diese Aufgabe erfüllt, bezeichnet ihn die Gesellschaft» . (wie der Vorsitzende in Wuppertal) «als einen ‹guten Vater›» – ohne Rücksicht auf seinesonstigen Charaktereigenschaften, ob es leicht oder schwer ist, mit ihm zu leben. «Es ist nicht nötig, daß er persönlich einen engen Kontakt mit den Mitgliedern der Familie hat oder daß sie zueinander Vertrauen haben.»
    Von der deutschen Mutter in diesem Schema schreibt Schaffner: «Die Mutter, deren eheliche Beziehungen ihr häufig nicht mehr als materielle Sicherheit, verbunden mit einem Leben dienstbarer Routine, bieten, ist geneigt, den größeren Teil ihrer Zuneigung und ihrer Gefühle den Kindern zuzuwenden   … Der väterliche Einfluß ist auf Autorität gegründet, der mütterliche auf die Liebe, mit der sie die Beziehung zu ihren Kindern erfüllen kann.» Fußnote: «Diese Situation ist für das männliche Kind ein fruchtbarer Boden für latente oder offene Homosexualität.»
    Schaffner stellte fest, daß das typische Kind in Deutschland «nur in wenigen Fällen, wenn überhaupt» die wahre Bedeutung der Freiheit kennt. Das Erziehungssystem hemmt die Entfaltung seiner Phantasie; man bringt ihm einfach nicht bei, sich als Individuum zu äußern. Dadurch wird das Kind

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