Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
finden, und er hat mich sitzengelassen. Gutes wollte ich ihm nicht mehr. Außerdem war er ja nun mittlerweile bedeutend älter als vierzehn, und das hat ja leider bei mir immer eine Rolle gespielt.
Wir gingen manchmal zusammen in Kneipen, aber diese verräucherten Spelunken gingen mir ganz furchtbar auf den Wecker. Das ganze Milieu finde ich zum Kotzen. Ich bin mit Viktor hingegangen, nur um ihn besoffen zu machen, sonst war er bei mir zu Hause so unaktiv. Gefühlsmäßig lag es mir nicht, ein homosexuelles Lokal zu besuchen. Ich weiß, wie ich bin, aber gefühlsmäßig liegt mir das nicht. Ich würde ja viel lieber normal sein. Ich bin nicht einer, der sagt: «Ich bin doch kein Idiot, ich lasse mir doch nicht das Schönste nehmen, was ich habe!» Wenn ich davon loskommen könnte, würde ich das lieber heute als morgen erledigen lassen. Ich strebe nicht nach dem Homosexuellen hin, ich strebe an sich nach dem Normalen hin. Stinknormal ist für mich das Allerwünschenswerteste.
Ich mußte irgend jemanden haben. Vielleicht bilde ich mir das ein, obwohl ich immer gesagt habe und noch heute sage, ich hätte das notfalls noch sein lassen können, mit aller Willensanstrengung. Aber das Andere, die eigentlichen Verbrechen, hätte ich gar nicht sein lassen können.
Viktor und ich waren schon tausendmal allein gewesen, ohne daß etwas Homo-artiges geschehen wäre. Das, was Sie meinen, war, wenn ich mich recht besinne, genau in der Silvester-Nacht 65 – 66. Wir waren allein auf meinem Zimmer, und ich bot ihm (Viktor) Geld an, nochmals, es war nicht das erste Mal. Überredenwollte ich ihn schon am Tag vorher, und da geschah «es» zum ersten Mal mit uns beiden. Ich muß das extra betonen, denn derartige Sachen mit dem Lehrling im Betrieb waren ja schon vorher passiert.
Damals in Marienhausen war ich nahezu überzeugt, daß das alles schlecht und Sauerei und Sünde und so wäre. Heute glaube ich, daß es ein Fehler, ein großer, war, daß ich in dem Alter niemals so etwas getan habe, was andere Jungs in dem Alter auch tun. Ich hatte, als ich im Gerichtssaal hörte, daß der Dieter in Marienhausen mit einem anderen Jungen onaniert hat, da habe ich einen ganz großen innerlichen Wutanfall gehabt: Warum haben wir beide damals nicht so etwas tun können! Ach, ich habe mich furchtbar geärgert, weil ich damals so gerne mit ihm so was mal gemacht hätte.
Daß ich schon Minderwertigkeitskomplexe hatte, als ich noch kein Verbrecher war, steht ganz außer Frage. Und zwar aus dem Gefühl der Einsamkeit heraus, der Ausgeschlossenheit aus dem Kreis der Freunde, der Kameraden; gewiß, ich machte viele Fehler, damals, als Junge, nur kann ich auch heute noch nicht umhin, mit dem Schicksal zu hadern, warum jemand schon als Kind schüchtern ist, ein Eckensteher, der es nicht schafft, sich jemandem anzuschließen.
Oft habe ich tatsächlich das Gefühl (welches die Gutachter mir absprachen), im Unterbewußtsein für alle Jungen, zumal Schuljungen, einen abgrundtiefen Haß zu empfinden! Erschrecken Sie? Ich auch, jedesmal, wenn ich es denke. Verstehen Sie mich recht, es ist bei mir nicht so, wie bei jemandem, der einen anderen «im landläufigen Sinne» haßt, sozusagen wie die Pest, und der dann sagt: «Oh, ich könnte den Müller, diesen Kerl, umbringen, so hasse ich ihn!»
So nicht!
Wenn es überhaupt so ist, wie ich manchmal glaube, kann es nur eine Art ‹Haßliebe› sein; eine Zuneigung aus sexuellen, erotischen Trieben, und ein vielleicht um vieles stärkerer unbewußter Haß («Gibt es nicht!», werden Sie sagen), ich kann es soschlecht erklären, denn zum Haß gehört, so meine ich, die Wut, die nackte Wut, und die empfinde ich nicht. Ich kann nur immer wieder sagen, ich «habe das Gefühl, als ob es so ist». Oder gibt es einen Haß, der einem Menschen gar nicht so recht bewußt wird, einen Haß aus tiefster Seele, da aus tiefster Enttäuschung? Aus Verbitterung, über die Liebe, den Wunsch zur Gemeinsamkeit, der nicht erwidert wurde? Etwa: Ihr habt meine Seele getötet, die Seele eines Kindes, und dafür töte ich Euch? Nach dem Motto: «Aber Ihr habt nicht gewollt»?
Kein Freibrief für Mord, gewiß nicht, aber wir suchen ja das Motiv, nicht wahr? Vielleicht gibt es sogar Gründe oder Beweise für das, was ich Ihnen sagte.
1. Rauhe Gesellen, vom Sturmwind durchweht
Fürsten in Lumpen und Loden
zieh’n wir dahin, bis das Herze uns steht
ehrlos bis unter dem Boden
Fidel Gewand in farbiger Pracht
trefft
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