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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Vergleich zu dem, was ich tat – regelrecht passiert ist nichts!»
    Allerdings würde es mich interessieren, sehr sogar, ob PaPü wegen dieser Verfehlung heute kein Priester mehr ist, also aus Heim und Orden ausgeschieden ist oder ganz einfach «geflogen» ist. Und wer das war, der Junge, das können Sie mir nicht sagen? Damals war ich manchmal fast sicher, PaPü hätte etwas mit dem Vorsinger, dem höchsten Sopran in der ersten Stimme, der war damals Hauptsänger im Chor. Dieser Junge wurde von PaPü eigentlich so lange sehr sanft behandelt, bis der Kleine in den Stimmbruch kam. Es paßte PaPü gar nicht, wenn einer in den Stimmbruch kam, aber bei diesem Jungen wohl am wenigsten. Der hatte damals eine ziemlich harte Prügel-Zeit zu überstehen. Habe ich oder hatte ich mit dieser Vermutung überhaupt recht?
     
    Nach der Nacht in der Eifel hat mir PaPü nie irgendwelche Konzessionen gemacht. Ich habe meine Prügel nachher genauso gekriegt wie schon vorher. Das einzige, das ich ohne mein Zutun bekam, war, daß ich von einem Tag zum anderen an den sogenannten Milchtrinkertisch im Speisesaal versetzt wurde. Damals habe ich wenigstens die beiden Sachen in Verbindung gebracht. Ich weiß nicht mehr, mit welchen Worten er das sagte, aber auf jeden Fall hat er mir gesagt, er würde mich schon fertigmachen, wenn ich die Schnauze aufreißen würde.
    Am nächsten Tag bin ich nach Hause gekommen, es ging mir sofort ganz schlecht. In Langenberg bin ich ins Krankenhaus gekommen und dort zwei oder drei Wochen geblieben. Es stand für mich fest, daß ich keinen Tag länger in Marienhausen bleiben konnte, daß ich da ausreißen würde. Meine Eltern haben mich trotzdem nach Marienhausen zurückgebracht, und einen Tag später bin ich sofort ausgerissen.
    Ich bin mit dem Zug nach Düsseldorf gefahren, dann für mein letztes Geld mit dem Bus nach Velbert, dann von Velbert zu Fuß nach Hause, etwa drei Stunden zu gehen. Meine Eltern, dachteich, waren natürlich sofort vom Heim benachrichtigt worden und waren ganz außer sich, bestimmt. Ich habe mich aber nicht getraut, reinzugehen.
    In Marienhausen, vor der Sache mit PaPü, hatte ich eigentlich Heimweh nie gekannt, aber auf einmal da, wie mich meine Eltern nach Marienhausen zurückbrachten, da hab ich ganz furchtbares Heimweh gehabt. Ich hatte viel mit PaPü zu tun, und ich konnte mir nicht vorstellen, noch dazubleiben. Nun war ich weg von Marienhausen und konnte mir nicht vorstellen, wieder zurückzugehen. Auf der anderen Seite habe ich aber damit gerechnet: Wenn du jetzt nach Hause reingehst, bekommst du eine fürchterliche Tracht Prügel. Deswegen hatte ich Angst. Ich konnte weder nach vorne noch zurück.
    Neben der Siedlung ist ein großer Wald, und da bin ich reingegangen. Dort habe ich mich praktisch von nachmittags bis zur Dämmerung rumgetrieben. Nun auf einmal war meine Mutter in dem Wald. Jemand hatte mich wahrscheinlich gesehen. Hinter einem Baum habe ich sie gesehen. Sie rief: «Jürgen? Jürgen? Wo bist du?» Und so bin ich mit ihr gegangen. Das große Geschimpfe und Geschrei ging natürlich sofort los.
    Meine Eltern haben dann sofort nach Marienhausen telefoniert. Ich habe ihnen nichts erzählt. Tagelang haben sie mit Marienhausen telefoniert, dann kamen sie zu mir und sagten: «Also, sie haben dir noch eine Chance gegeben! Du kommst wieder zurück!» Ich habe natürlich gejammert und geheult: «Bitte, bitte, ich will nicht zurück!» Aber wer meine Eltern kennen würde, wüßte dann, daß da nichts zu machen.
    Und so haben sie mich zurückgebracht. Dort waren sie alle so sauer, kein Mensch hat mich angeguckt. Nachmittags bin ich gekommen, und am nächsten Morgen habe ich einen Brief an PaPü geschrieben. Ich weiß nicht mehr, was ich da schrieb, aber sinngemäß: Ich kann auf keinen Fall hierbleiben. Ich gehe jetzt nach Hause, und solange sie mich wiederbringen, laufe ich immer wieder weg. PaPü ist mit dem Brief zum Pater Direktor gegangen. Der PaPü soll ganz aufgelöst, ganz mit den Nerven runter gewesensein. Er soll gesagt haben: «Es geht nicht mehr, ich halte das nicht mehr aus. Ich trete zurück!» Das habe ich von meinen Eltern gehört.
    Ich bin nur einen Tag dort geblieben. Beim zweiten Mal bin ich nicht allein abgehauen, ich habe meinen Freund Detlef mitgenommen. Ich habe ihn getroffen und ihm gesagt: «Hier bleibe ich keine Stunde länger.» Aber dieser Ausflug führte nur in eine Polizeizelle, weil ich kein Geld hatte. Meine Eltern hatten mir extra kein Geld

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