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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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gegeben, damit ich das ausgetrieben kriegte, abzuhauen.
    Aber mit PaPü wollte ich auf keinen Fall mehr irgendwie auch nur auf zehn Meter Entfernung zusammen sein. Später, nachdem ich endgültig von Marienhausen weg war, bin ich mit meinen Eltern zum Ort in der Eifel gefahren, wo er bei seiner Mutter wohnte, aber das ging nicht von meinen Eltern und nicht von mir aus. Das ging allein von PaPü aus. Aus heiterem Himmel irgendwann kam ein Anruf von ihm. Meine Mutter ist darangegangen und hat mich gefragt, ob ich nicht mal mit ihm sprechen wollte, aber ich sagte, na, ich hätte kein besonderes Interesse.
    Dann hat er meine Mutter am Telefon beackert, wir drei möchten ihn doch mal besuchen kommen. Er hatte Urlaub, und wir möchten am Sonntag kommen. Das ging ganz allein von ihm aus. Ich wollte an sich nicht so gerne hin, aber hingefahren sind wir. Meine Eltern haben sich mit ihm unterhalten. Ich saß etliche Meter weg am anderen Ende vom Tisch. PaPü und ich haben außer «Guten Tag» und «Auf Wiedersehen» praktisch kein Wort miteinander gesprochen.
    Ich habe ihn sicherlich verabscheut, aber wie alle anderen Jungs in Marienhausen habe ich eine Art widerwillige Verehrung für ihn empfunden. Das ging uns allen aber so. Durch seine persönliche Robustheit ragte er irgendwie aus der Reihe der anderen Erzieher. Aber es ist kein einziges Mal vorgekommen, daß PaPü jemanden lobte. Das gab es einfach nicht.
    Ihr Jürgen
     
    P.   S.   Infolge dieses vermaledeiten Vertrages bitte ich Sie herzlich, Ihre Briefe bzw. Fragen, ab heute an Herrn Möller zu senden, welcher sie mir dann übergibt. Ich selbst mache das ja schon lange so!!! Schönen Dank. Und, versteht sich, meine Meinungen und Feststellungen sind vollkommen privater Natur, auch wenn Sie Herrn W., denn darum geht es mir, gut kennen.
    ***
    [Schon in meinem ersten Brief hatte ich geschrieben, daß ich ein Buch über Jürgen und seinen «Fall» schreiben und die Tantiemen selbstverständlich mit ihm teilen wollte, aber erst in diesem Brief – sieben Monate später – kommt er darauf zurück.]
     
     
    W-tal, den 10.   7.   1968
     
    Lieber Herr Moor!
    Very Very much für Your «little» Brief, den mir Herr Möller letzten Freitag vorlas. Da dies wieder ein sehr langer Brief wird (es ist gut, daß ich im Moment «arbeitslos» bin), möchte ich sofort wieder zum Thema kommen. Also, legen wir los!
    1.) Es war, das habe ich nie verkannt, sehr anständig von Ihnen, mich evtl. später am Buch zu beteiligen. Ich bin mit Absicht damals nicht gleich darauf eingegangen, weil ich Sie nicht enttäuschen wollte. Sie müssen nämlich damit rechnen, daß ich von diesem Geld, sollte ich als vollverantwortlich usw. verurteilt worden sein, keine einzige müde Mark sehen würde. Es würde mir sofort beschlagnahmt werden für Kripo-Staatsanwalt-Arbeit, Suchaktionen, Fahndungsplakate usw. Und die Eltern der Kinder würden nur noch einmal mehr leer ausgehen. Das ist die bittere Wahrheit (die Wahrheit ist meist bitter). Ich glaube kaum, daß wir etwas dagegen tun können.
    2.) Tagsüber war allerdings meine Zeit sehr beschränkt, wochentags, aber da war ich ja am Arbeiten und kaum auf meinem Zimmer. Aber auch sonntags, kann ich sagen, daß zwar alles, Ausgehen evtl. usw., genau vorgeschrieben war, aber auf mein Zimmer kamen meine Eltern fast nie. Nur einmal bin ich aufgefallen,davon schrieb ich Ihnen ja, das war, als ich zwei Jungen hypnotisieren (Versuch) wollte. Aber das war Zufall, meine Mutter wollte mir was bringen, was sie an sich nie tat.
    3.) Hier das Zitat kurz im Zusammenhang: «Ich habe Eure Kinder schützen wollen wie eine Henne ihre Küken unter ihren Flügeln schützt, aber Ihr habt nicht gewollt   …» . (Neues Testament). Wenn ich also den letzten Teil der Klage über Jerusalem zitiere, so meine ich damit niemand anderen als die Kinder, die Jungen selbst. Aber um Gottes Willen nicht meine Opfer, sondern, so meine Vorstellung, die Kinder eher pauschal, kollektiv, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wenn man es bösartig ausdrücken will, so eine Art Sippenschuld. Und ganz vollständig ist der Satz erst so: «Aber Ihr habt mich nicht gewollt   …»
     
    [Erst zweiundzwanzig Jahre später, fast vierzehn Jahre nach Jürgens Tod, machte ich in der Bibliothek der staatlichen University of California in Berkeley die Entdeckung, daß Jürgen mit diesem außerordentlichen Zitat die Worte – und damit die Rolle   – Jesu Christi übernahm: In Martin Luthers Übersetzung der

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