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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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hochgezogen, mit dem Kopf nach unten.
    Dann wurden die Tiere ausgeweidet; bis dahin habe ich dann die Arbeit gewöhnlich mehr schlecht als recht geschafft, so einigermassen; aber dann, wenn die Innereien heraus waren, dann fing jedesmal mein großes Leid an. Denn nun mußte jedes Schwein mit dem Beil genau in der Mitte, also genau durch die Kotelett-Rückenknochen hindurch, gespalten werden, auch der Kopf, sogar die Schnauze in der Mitte durch. Das war immer schrecklich. Meist war ich froh, wenn ich mit dem Durchhacken fertig war, also wenn dann an jeder Hälfte nur ein Ohr war, da war ich schon glücklich. Warum bei manchem, ja fast allen anderen dies alles «wie am Schnürchen» klappte, das habe ich nie verstanden. Noch etwas anderes habe ich nie verstanden: warum ich bei der Gesellenprüfung in der «Praxis» eine Zwei (gut) bekam. Nun, heute kann ich es mir denken. Beim Abstechen hat mir jemand geholfen, und für den Rest (ein einziges Schwein nur) habe ich zwei Stunden Zeit gebraucht ungefähr! Davon eine ganze Viertelstunde habe ich mir einfach genommen, nur für’s Durchhacken. Was man sich im normalen Alltag natürlich niemals leisten kann. So ist diese Note also «theoretisch» zwar richtig, aber für die Praxis ein Nonsens. Ungeschickt läßt grüßen   …
     
    16.   Hältst Du Dich selbst für wachsam? Was bedeutet für Dich «wachsam»?
     
    Ich halte mich für äußerst wachsam. Weil Wachsamkeit für mich keine andere Definition zuläßt als «Mißtrauen». Ich glaube, ich bin sehr mißtrauisch, also sehr wachsam.
     
    17.   Hältst Du Dich für einen guten Beobachter?
     
    Für einen guten Beobachter halte ich mich, ja. Aber wieso? Darauf wüßte ich nichts zu sagen. Man ist so, oder man ist nicht so. Auf einem Gebiet besser als auf einem anderen? Nein, glaube ich nicht, da kann ich gar nichts Genaues sagen.
     
    18.   Hältst Du Dich für fähig, aus eigener Erfahrung zu lernen?
     
    Soweit es allgemein gehalten ist, die Frage, halte ich mich durchaus für fähig, aus Erfahrung zu lernen. Wenn man keinen Freund bekommen kann als Kind, wenn die anderen einen nur verhauen, dann sieht man eben zu, daß man aus der Schule nach Hause kommt, so rasch es geht, und wenn man dort im Weg ist, drückt man sich in eine Ecke und liest oder heult, je nach Stimmung.
    Einmal, in Katernberg, als ich morgens in der Schule vom «starken Beckmann» ein paar «auf die Schnauze» bekommen hatte, ich weiß es noch wie heute, habe ich auf dem Heimweg in der Straßenbahn die ganze Zeit nur gegrübelt, was ich machen, wie ich mich wehren würde, wenn ich erst groß, erst stark wäre. Eine genaue Vorstellung davon hatte ich zwar nicht, aber ich weiß noch, es wimmelte nur so von Aufwärts, linken Geraden und Haken und Magenschlägen und sonstigen Treffern. Als ich dann in Katernberg ankam, ging ich ins hinterste Zimmer, wo der kleine Teeschrank stand, machte ihn auf und schrieb mit dicken Bleistiftstrichen auf die Innenseite der Tür: «Der Rächer!»
    Wie gesagt, aus Erfahrung lernen; wenn man merkt, als Kind, daß die Eltern keine Zeit haben, oder nicht fähig sind, mit einem zu spielen, dann spielt man mit sich selbst, mit den zwanzig Stofftieren, malt sich ein Schild, hängt es an die Kinderzimmertür («Hat er es nicht gut, er hat ein eigenes Zimmer!»), darauf steht «PRAXIS»,und spielt ein paar Wochen lang Tierarzt, weil man Tiere so lieb hat, und der Beruf so schön ist, außerdem, was für Erwachsene gilt, warum sollte es für Kinder nicht gelten, für manche wenigstens: «Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere   …»
    Später, wenn man dann erfährt, daß man sich verloren fühlt, instinktiv ausgestoßen, sobald mehr als ein oder zwei Gleichaltrige beisammen sind, der Mund verschließt sich, nichts fällt einem mehr ein, was man sagen könnte, und wird wirklich mal, aus Versehen sozusagen, das Wort an einen gerichtet, so kriegt man einen roten Kopf und grinst blöd, mehr ist nicht drin. Die Erfahrung lehrt in solchem Fall, daß man am besten allein bleibt, ein Einzelgänger wider Willen. So glaube ich also sagen zu können, daß ich hervorragend geeignet bin, aus Erfahrung zu lernen.
    Über die schlimmsten Dinge kann ich nur sagen, daß ich stets das Gefühl hatte, darauf, ab einem bestimmten Zeitpunkt (etwa 13   –   14   Jahre) keinen direkten Einfluß mehr darauf zu haben, wirklich nicht anders zu können. Gebetet habe ich, und gehofft, daß wenigstens dies etwas nützt, aber auch das

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