Jürgen Klopp: Echte Liebe
Sicher, beim Eilen von Sieg zu Sieg wie in der Meistersaison mag das keine Kunst sein. Doch charakteristisch fiel ein englischer Zeitungskommentar aus, geschrieben nach dem 1:1 in der Champions League im September 2011 gegen den FC Arsenal:
»(Arsenal-Trainer Arsène) Wenger hatte das Westfalenstadion 19 als Tempel des deutschen Fußballs beschrieben und es war schwer, ihm zu widersprechen. (…) Die riesige Gelbe Wand ist wie das Holte End im Villa Park 20 , nur größer. (…) Nach dem Anstoß war sie auch eine Wand des Sounds«, schrieb die von der Atmosphäre beeindruckte Independent .
Erst in der 89. Minute gelang dank eines fulminanten Schusses von Ivan Perišic der späte aber vollkommen verdiente Ausgleich, nachdem der BVB seit der ersten Halbzeit einem unglücklichen Rückstand hinterhergelaufen war. Der Partie vorausgegangen war eine ernüchternde 1:2-Heimniederlage gegen Aufsteiger Hertha BSC Berlin in der Bundesliga. Nun, gegen Arsenal, hatte vor allem die »Gelbe Wand« der Südtribüne ihr Team mit unermüdlicher Anfeuerung förmlich zum Ausgleich getrieben – unterstützt auch von den übrigen, sonst eher zurückhaltenden Tribünen.
Rasenschach verpönt
Ähnliche Ziele wie der enthusiastische Neue hatten in Dortmund zuvor auch schon andere Trainer formuliert, um dann von der Realität widerlegt zu werden. Klopps Vor-Vorgänger Jürgen Röber hielt bei seiner Präsentation eine flammende Rede über Leidenschaft und Einsatzwillen. Nach nicht einmal drei Monaten war er seinen Posten wieder los. Während der Saisonvorbereitung 2007 war die Euphorie nach einem 4:0-Testspielsieg über den AS Rom riesengroß. Vergessen wurde, dass die Stars der Roma gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt waren und gedanklich noch am Strand lagen. Die folgende 1:3-Auf-taktpleite gegen den MSV Duisburg war der Beginn einer trostlosen Bundesligasaison, an deren Ende auch für Röbers Nachfolger Thomas Doll das Kapitel Borussia beendet war.
»Rasenschach hat noch keine meiner Mannschaften gespielt« gibt Klopp gleich bei seiner Vorstellung im Mai die Richtung vor – und will seinem Team eine neue Philosophie vermitteln. »Wiedererkennungswert« müssten die Spiele des BVB haben, fordert er. Dabei besitzt der Trainer den Mut, die von den Mittdreißigern Christian Wörns und Robert Kovac verkörperte alte Manndeckerschule in Rente zu schicken. Stattdessen setzt er auf die Youngster Mats Hummels und Neven Subotic, beide 19 Jahre alt und somit das jüngste Innenverteidiger-Paar der Bundesligageschichte – medial gerne auch als »Kinderriegel« bezeichnet. Subotic war direkt mit Klopp aus Mainz gekommen, nachdem er sich dort im Vorjahr als Stammspieler etabliert hatte.
In Brackel wird in diesem Sommer 2008 jeder noch so kleine Hinweis, dass es mit der Borussia wieder aufwärts gehen könnte, mit Dankbarkeit registriert. Stellvertretend für die BVB-Anhänger blickt ein Trainingskiebitz optimistisch in die Zukunft: »Eigentlich wollte ich in der neuen Saison meinen Enkel ins Stadion schicken, der hat vielleicht noch die Geduld für so ein Gegurke wie in den letzten Jahren.« Nun will er selber hingehen und den Stammplatz behalten. »Wegen Kloppo«, wie er sagt.
Die irre Aufholjagd im Revierschlager
Wie von Klopp gefordert, behielten reichlich BVB-Fans ihren »Stammplatz«. Nach dem Rekordverkauf im Vorjahr von 50.549 Dauerkarten, pendelte er sich 2008 bei einer immer noch bemerkenswerten Anzahl von 49.500 ein. Dank überzeugender Auftritte wurde bald darauf die 50.000-Marke wieder geknackt, ehe nach dem Meisterjahr mit 53.000 abgesetzten Dauertickets ein neuer Bundesliga-Rekord aufgestellt wurde. Nicht nur die Mannschaft hörte auf ihren neuen Trainer.
Klopps Arbeit trägt auch sportlich sofort erste Früchte: Der Auftakt in die neue Spielzeit 2008/09 fällt mit einem 3:2 bei Bayer Leverkusen nach Maß aus. Ein großer Wermutstropfen ist allerdings die Verletzung von Dede, seit 1998 beim BVB eine »Bank« als linker Außenverteidiger. Der Brasilianer zieht sich einen Kreuzbandriss zu und fällt dadurch monatelang aus. Klopps Heimspieldebüt am 2. Spieltag wird mit einem 1:1 gegen den amtierenden Deutschen Meister Bayern München zumindest zu einem Achtungserfolg. Der 1:0-Sieg bei Energie Cottbus gerät dann zur gelungenen Einstimmung auf das anstehende Revierderby gegen den ewigen Erzrivalen Schalke 04. Klopps erstes Derby sollte gleich zu einem Meilenstein seiner Premieren-Saison in Dortmund werden.
Jeder Neuankömmling
Weitere Kostenlose Bücher