Jürgen Klopp: Echte Liebe
Linie beackern und intensive Sprintintervalle absolvieren, müssen sie läuferisch extrem stark sein. Anders als den Innenverteidigern stehen ihnen weniger Spielpausen zur Verfügung.
Letztlich allerdings können die Vorgaben des Trainers im Vorfeld noch so gut durchdacht sein – während des Spiels bleibt sein Einfluss begrenzt: »Ich kann da draußen entwerfen, was ich will. Die Umsetzung machen die Spieler«, bekannte Klopp im März 2011 illusionsfrei. 34
Borussia Dortmund wurde 2011 stolze 102 Jahre jung – und war wohl selten zuvor lebendiger als in dieser Zeit. Das leidenschaftliche Naturell ihres Trainers, es hat abgefärbt.
Der Autodidakt und die moderne Trainingslehre:
Inspirieren lassen ja, kopieren nein
Auch wenn Klopp die größte Inspiration für seine spätere Laufbahn von Wolfgang Frank erhielt, so nahm er doch auch von anderen Trainern etwas mit. In Mainz waren es in elf Jahren weitere neun: Robert Jung, Josip Kuze, Hermann Hummels (Vater von Klopps heutigem Spieler Mats Hummels), Horst Franz, Reinhard Saftig, Didi Constantini (Jahre später Nationaltrainer seines Heimatlandes Österreich), Dirk Karkuth, René Vandereycken und Eckhard Krautzun.
Schon als Spieler besaß Klopp feine Antennen und einen natürlichen Filter, »um mir die richtigen Dinge herauszuholen. Denn jeder Trainer hat etwas eingebracht. Mir ging es weniger um die Übungen, die durchgeführt wurden, sondern wie der Trainer als Persönlichkeit war: Was ist seine Philosophie und wie bringt er sie rüber? Was macht er auf dem Platz? Greift er zwischendurch ein? Das waren die Dinge, auf die ich immer geachtet habe.« Trainingspläne aus früheren Spielerzeiten besitzt Klopp allerdings nicht, da er sich bewusst keine Notizen machte: »Ich habe mir schon immer gedacht, dass ich mir das Wichtige merken kann. Den Rest vergesse ich.«
Auch wenn der 44-Jährige mit seiner Spielauffassung und seinem Blick über den Fußball-Tellerrand 35 hinaus, als moderner Fußballlehrer gilt – er macht nicht jede neue Entwicklung mit, sondern weiß zu selektieren:
Der Profifußball hat in den letzten Jahren einen immer stärkeren wissenschaftlichen Einfluss bekommen. Trainer machen von neuen, vielfach computergestützten, Methoden Gebrauch. Insbesondere die Datenerfassung, ob im Trainingsbetrieb oder während eines Spiels, hat mit den gestiegenen technischen Möglichkeiten einen exponentiellen Anstieg erfahren: Welcher Spieler ist wie viele Kilometer gelaufen? Wie viele Zweikämpfe wurden gewonnen? Wer hatte wie viele Ballkontakte? Dazu gibt es zahlreiche Spezialisten für verschiedene Fachgebiete: den Konditionstrainer, den Torwarttrainer, den Videoanalyst, den Scout und, und, und. Doch Klopp ist bei der Verwendung dieser wissenschaftlicher Erkenntnisse zurückhaltend, vor allem hinsichtlich statistischer Erhebungen:
Ein anerkannter Statistikexperte ist der promovierte Sportwissenschaftler Roland Loy, der sich im Fußballwesen bereits einen Namen gemacht hat: Unter anderem als Verfasser der Bücher »Taktik und Analyse im Fußball« und »Das Lexikon der Fußballirrtümer« sowie als Datenbankentwickler der Fußballsendung ran beim TV-Sender Sat1 . Beratend steht er zudem der Sportredaktion des ZDF zur Seite. Zu Studienzwecken analysierte er über 3000 Fußballspiele binnen zwanzig Jahren und widerlegte dabei so manch alte These: Zum Beispiel die, dass meist die zweikampfstärkere Mannschaft gewinnt (war nur zu 40 Prozent der Spiele richtig) oder dass das Flügelspiel für ein Tor erfolgversprechender sei als das durch die Mitte. Tatsächlich hielt sich in Loys Erhebung beides die Waage.
»Ein großer Verfechter davon, sich einen
eigenen Eindruck zu verschaffen.«
Klopp hat seine ganz eigene Meinung zur Statistik im Fußball: »Ich kenne Roland, wir haben bei der WM 2006 im Team von (TV-Moderator) Johannes B. Kerner zusammen gearbeitet. Ich halte Nullkommanull von seinen Statistiken und er weiß das auch. Ich habe es ihm schon gesagt und daher kann ich es auch laut sagen.«
Allerdings fällt Klopps Ablehnung nicht ganz so grundsätzlich aus, wie sie sich zunächst anhört: »Ein Riesenfreund hingegen bin ich von Statistiken, die das letzte Spiel oder vielleicht die gesamte Saison bewerten.« Denn ob das Spiel seiner Mannschaft eher rechts- oder linkslastig ausfällt, ob zuviel oder zu wenig durch das Zentrum gespielt wird – in diesen Erkenntnissen sieht Klopp durchaus einen Mehrwert, der ihm eine unmittelbare Korrekturmöglichkeit bietet.
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