Jürgen Klopp: Echte Liebe
Letztlich sieht er sich trotz aller verfügbaren Hilfsmittel jedoch selbst in der Pflicht: »Ich bin ein großer Verfechter davon, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Meistens weiß ich, dass wir zu langsam aufbauen, bevor ich eine Statistik in der Hand halte. Ich habe ja nichts anderes zu tun, als eine Mannschaft zu trainieren und mich mit dem Spiel zu beschäftigen. Dazu brauche ich keine harten Zahlen. Ich bin dafür ausgebildet, das selbst zu erkennen.«
Ein Gebiet, auf dem Klopp sogar sehr auf wissenschaftliche Methoden setzt, ist der Ausdauerbereich. Durch die Wissenschaft ist es möglich, das Training auf den Leistungsstand jedes Profis individuell anzupassen. Ein Spieler, der »voll im Saft steht«, kann anders belastet werden, als ein Rekonvaleszent, der nach langer Aufbauphase gerade wieder ins Teamtraining zurückgekehrt ist. Klopps Maxime lautet daher: Eine Trainingseinheit darf keinen Spieler über- oder unterfordern.
Zu diesem Zweck setzt der Coach auch auf den Laktattest. Laktat ist ein Milchsäuresalz, das mittels Blutentnahme aus dem Ohrläppchen bestimmt wird. Als Stoffwechselprodukt bildet es sich bei körperlicher Belastung, sobald allein der eingeatmete Sauerstoff die Muskeln nicht mehr mit ausreichend Energie versorgen kann. Über die Konzentration des Laktats lassen sich Rückschlüsse auf das konditionelle Leistungsvermögen ziehen. Der Laktattest kommt daher vor allem zur Saisonvorbereitung zum Einsatz, wenn die konditionellen Grundlagen gelegt werden.
Zwar habe Felix Magath, Wolfsburgs Meistertrainer von 2009, Recht damit, wenn er sagt: »Ich brauche keinen Laktattest zu machen, um zu wissen, ob ein Spieler fit ist«, stimmt Klopp zunächst zu. Doch dank seiner Werte erkenne er, »wo wir einen Spieler abholen müssen, um mit ihm angemessen zu trainieren. Denn es wäre blöd, eine Trainingseinheit durchzuziehen, die nur für drei Leute genau richtig war, für die anderen aber zuviel oder zuwenig.«
»Wahnsinn, in welchen Tempi wir laufen mussten.«
Die Individualisierung des Trainings wird auch dadurch erleichtert, dass Trainern im Profifußball immer mehr Arbeitsmaterial zur Verfügung steht. Klopp nennt ein kleines Beispiel: »Früher hast du eine Pulsuhr für 20 Spieler gehabt, heute hast du 40 Pulsuhren für zehn. Damit ist heute viel mehr möglich und damit arbeitet man natürlich gerne.« Zusammen mit neuen wissenschaftlichen Methoden steht also ein viel breiteres Informationsfeld zur Verfügung, als es bei früheren Trainergenerationen der Fall war. Dieser Kenntnisgewinn kommt letztlich auch den Spielern zugute, die ihrem Leistungsstand entsprechend gefördert werden.
»Ich glaube, dass viele meiner Spielergeneration durchaus ein bisschen müde trainiert wurden. Wir haben unglaubliche Umfänge trainiert. Das war Wahnsinn, wie lange wir auf dem Platz waren, wie viel wir laufen mussten und in welchen Tempi wir laufen mussten. Um zu beurteilen, ob das Training hart genug war, war es durchaus ein wichtiger Indikator, ob wenigstens einer aus der Truppe auf den Platz gebrochen hat«, denkt Kopp mit Grausen an die Trainingsgepflogenheiten von früher zurück. Demgegenüber bietet die heutige Trainingslehre ein viel ausgeprägteres Bewusstsein für Belastung und Pause, für Anspannung und Entspannung.
Dass sich Klopp gerade mit dem Ausdauertraining intensiv beschäftigt, verwundert nicht. Schließlich liegt hierin die Basis für das laufintensive Spiel gegen den Ball, das ihm so wichtig ist. Für die Bedeutung der Laufleistung gab es für Klopp ein Schlüsselerlebnis gleich zu Beginn seiner Tätigkeit beim BVB: im Juli 2008 beim »T-Home-Supercup« gegen den FC Bayern, den die Borussia mit 2:1 gewann.
Gerannt für den Urlaub
Klopp erinnert sich an die Partie: »Wir sind dabei als Mannschaft insgesamt 121 Kilometer gelaufen. Das hat mir damals nicht so wahnsinnig viel gesagt, denn vorher hatte ich mit diesen Werten nicht gearbeitet.« Doch im Laufe der Saison 2008/09, als der BVB von den ersten sieben Rückrundenspielen keines gewinnen konnte, griff der Trainer diesen Wert wieder auf. »Ich stellte fest, dass wir in diesen Spielen nicht einmal über 113 Kilometer gekommen waren. Dann sind wir kurz ins Trainingslager gefahren, wo ich mit der Mannschaft einen kleinen Deal gemacht habe: Wenn sie es schafft, von zehn Spielen neunmal über 118 Kilometer zu laufen, sollte sie drei Tage länger Urlaub bekommen. Die Jungs haben es tatsächlich hinbekommen.«
Derart motiviert platzte
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